GEORG LÖWISCH UNBELIEBT : Auf der Güllner-Skala
Der Forsa-Chef Manfred Güllner ist die Ratingagentur für Politiker. Sie haben ihn nicht so gern
Der Sozialforscher Manfred Güllner misst das Vertrauen in Politiker auf einer Skala von eins bis hundert. Im Mittelfeld strampelt Merkel hinter Schäuble und de Maizière her, Unbeliebte wie Lafontaine quälen sich mit Dreißigerwerten, und ein Achtziger kommt ganz selten vor, etwa als Deutschland Horst Köhler noch lieb hatte.
Die Mitarbeiter in Güllners Forsa-Institut befragen Menschen am Telefon, täglich 500. Die Daten werden aufbereitet und veröffentlicht. Der Chef gibt dann gern noch einen Kommentar zum Besten, zum Beispiel, dass Westerwelle die komplette FDP runterziehe.
Wir sitzen in Güllners Institut in Berlin in einem etwas sterilen Konferenzraum, vielleicht ist sein Büro nicht aufgeräumt genug oder könnte etwas anderes verraten, mit dem er riskiert, von mir bewertet zu werden. Er analysiert gerade Lafontaines Unbeliebtheit, die unter anderem darauf zurückzuführen sei, dass er den Leuten nie zuhöre und allein schon seine Körpersprache so hochnäsig wirke. Zur Illustration lehnt sich Güllner in seinem Stuhl zurück, streckt den eigenen Bauch über den ovalen Konferenztisch und reckt die Nase hoch. Mir tut Lafontaine ein bisschen leid, ich denke daran, wie mir mein Lateinlehrer zu einer miesen Note noch eine spöttische Bemerkung verpasst hat.
Herr Güllner, es ist doch so, dass die Forsa-Interviewer in Wirklichkeit gar nicht fragen, warum Lafontaine unbeliebt ist, sondern nur, wie stark jemand ihm vertraut. Und was Sie neulich geliefert haben: Steinmeier, Steinbrück und Gabriel würden deswegen beliebter, weil sie im Zusammenspiel an Brandt, Schmidt und Wehner erinnerten. Woher wissen Sie das?
Jetzt ist interessant, dass Güllner nicht mit soziologischen Fachwörtern und Zahlenreihen zurückschlägt. Er lächelt nur. Sein Lächeln hat einen wissenden Zug, aber es wirkt auch verlegen, weil er es lange hält. Er sagt leise, dass ein Meinungsforscher handwerklich korrekt seine Daten erheben, aber sie eben auch deuten müsse. „Wir sind keine Fliegenbeinzähler, die gucken, ob eine Fliege vier, acht oder sechzehn Beine hat.“
Im Grunde heißt das: Weil er keine Lust hat, sich nur mit Zahlen zu beschäftigen, darf er ausgiebig interpretieren. Sozialkunde und Geschichte mochte er in der Schule auch lieber als Mathe. Er bestimmt, was er darf. Noelle-Neumann ist tot.
So würde Güllner freilich nie reden. Er erzählt sanft. Von Wahlkämpfen, Wulff gegen Gabriel, Koch gegen Ypsilanti, Stoiber gegen Schröder. Von Kniffen und Taktiken. Er ist ein Politikfan. Aber diese Begeisterung wird nicht erwidert. Die Politiker mögen ihn etwa so gern wie die Griechen eine Ratingagentur. Und in der Politik, das ist sein Drama, verhält es sich ja so, dass die ganze Veranstaltung tendenziell unbeliebter wird. Die Politikerwerte sinken, und das zieht Güllner bei den Politikern runter. Er kann das an der SPD sehen, der er selbst angehört. Früher Lafontaine, dann Scharping, später Beck – er lächelt so verschüchtert, dass man denkt, die Jungs hätten ihn im Terzett verprügelt.
Der einzige SPD-Chef, von dem sich Güllner verstanden fühlte, war Gerhard Schröder. Der habe genau auf Umfragedaten geschaut, sich aber nie in Panik versetzen lassen, lobt er. Er schenkt mir ein Forsa-Buch, in dem der frühere Kanzler ein Geleitwort geschrieben hat. „Der Güllner sagt mir heute, was die Menschen in sechs Wochen von uns denken“, hat Schröder einmal erklärt. Eine glatte hundert.
■ Der Autor leitet die sonntaz-Redaktion Foto: Borrs