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Archiv-Artikel

GEN SPANDAU Gentrifiweißdergeier

Das überlebst du gar nich’, Alter!

Am S-Bahnhof Friedrichstraße winkt ein Mittfünfziger die Scharen schweißgebadeter Sonnenanbeter, die versuchen, sich Ellenbogen an Ellenbogen, Bein an Bein einen Weg in die bereits überfüllte S-Bahn gen Spandau zu bahnen, an sich vorbei in den Waggon. Er singt dabei eine mit kreativen Versatzstücken angereicherte Version von „You’re always on my Mind“. Der bierflaschen- und händeschwenkend durchchoreografierte Text hört sich in etwa so an: „U … u … lrich, ick fahr jetzt zu dir … Cause you’re always on my mind …“

Er betritt den Wagon als Letzter, hält sich an der Mittelstange fest, führt eine wie Tabledance anmutende, wenn auch schwankende Tanzbewegung vor und grölt: „Wat wollt’er denn im Osten? Ab zum Zoo! Ab in’ Westen! Scheiß aufn Osten! Scheiß auf Zonenbilderei!“ Am Hauptbahnhof lässt er sich sichtlich erschöpft auf einen Sitz fallen und flüstert: „Weil, wir sind die Kinder vom Bahnhof Zoo.“ Dann singt er weiter: „U … u … lrich, gleech bin ick bei dir, weieieiell sowatt findste nirgendwooooo hiiiier …“

Die Umstehenden sehen betreten auf den Boden. Er ruft in die Runde: „Wat wollter denn hier im Osten? Dat is doch sowatt von gentrifiwattweißdergeier.“ Er nimmt einen Schluck Bier und murmelt: „Ach, wat weeß ick. Ick bin ja oos Spandau. Nichma Berlin.“

Ein Jugendlicher, der glasig aus dem Fenster guckt, sieht ruckartig auf, fixiert den Biersänger an und nuschelt: „Spandau, Alter? Is’ doch hässlich. Steht in jeder Zeitung.“ Der Bierfahnenschwenker lehnt sich zu ihm und erwidert mit einem Stimmvolumen, das einen Theaterraum füllen würde: „Red ma. Du würdst dir da ja nich zurechtfinden.“ Der Jugendliche spuckt ausladend auf den Boden und sagt: „Wir sollten ma’ tauschen. Leb du ma’, wo ich lebe. Das überlebst du gar nich. Wedding, Alter.“ EVA-LENA LÖRZER