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Archiv-Artikel

GEHT’S NOCH? Armut gehört verboten

ANSTATT GELD IN DIE OBDACHLOSENHILFE ZU INVESTIEREN, SETZT MAN IN EUROPA AUF KREATIVE MITTEL ZUR VERTREIBUNG

Im Internet empört man sich derzeit über das Foto eines Hauseingangs in London. Eine windgeschützte und überdachte Nische neben der Eingangstür wurde mit dicken Metallstacheln versehen, um Obdachlose fernzuhalten. Ein kleines Apartment in dem Block kostet angeblich 620.000 Euro – Anti-Obdachlosen-Maßnahmen sind da wohl inklusive.

Nun zeigen alle mit dem Finger auf London, während der Rest von Europa um keinen Deut besser ist. Jedes Jahr werden Tausende Euro in die Vertreibung von Obdachlosen gesteckt. Man wird immer kreativer und unmenschlicher. Hauptsache man hält die Penner vom Schlafen ab. So werden in der großstädtischen Architektur generell möglichst wenig Winkel geschaffen, um außen erst gar keine Nischen zu bilden – irgendwann wird man einfach nur noch rund bauen. Die Bahnhöfe in Wien, Hamburg oder Paris werden zur Freude der Touristen mit klassischer Musik bespielt. Das hat aber nichts mit Kultur zu tun – wer drei Mal am Stück „Peter und der Wolf“ oder die „Kleine Nachtmusik“ hören muss, flüchtet freiwillig unter die nächste Brücke. Aber das darf man auch nicht mehr: In Hamburg-Mitte etwa hat man unter einer Brücke einen Stahlzaun errichtet. Der Zaun hat 18.000 Euro gekostet und schützt Raum, den keiner braucht, vor Menschen, die Schutz suchen. Sitzbänke werden mit Armlehnen, Kanten und Abrundungen versehen. Andere potentielle Sitzflächen werden mit Stacheln oder kleinen Betonpyramiden unbrauchbar gemacht. In Einkaufsstraßen und Parks wird laut über ein Alkohol- und Rauchverbot nachgedacht. Weil es angenehmer ist, eine Vertreibung mit „Du rauchst“ und nicht mit „Du bist arm“ zu begründen. Einfahrten werden von Sprenklern bewässert, und wer es sich leisten kann, beschäftigt einen Sicherheitsdienst.

So wird es weitergehen, bis das gut situierte Bürgertum ausblenden kann, dass Armut überhaupt existiert. Die Ungarn haben das Problem bereits gelöst: Sie haben Obdachlosigkeit kurzerhand unter Strafe gestellt. Als nächstes verbietet man dann Kranke, Tiere und Kinder. Immerhin stören die das Stadtbild. SASKIA HÖDL