Frau Schwab geht unter Leute : Im Tierpark Friedrichsfelde
Für die Glücklichen von gestern ist am 1. Mai in Berlin auch was im Angebot: der friedliche Sängerwettstreit im Tierpark Friedrichsfelde. „Jeder kann singen, jeder kann mitsingen, jeder hat schon mal gesungen“, schallt es von der Tribüne des Terrassencafés. Soll heißen: Nicht Heidehasen, nicht Meistersinger, nein, du und ich sind gefragt. Mehrere hundert Dus sitzen draußen bei Schweinshaxe mit Rotkohl oder Grünkohl mit Pinkel und lauschen den „Friedrichshainer Spatzen“ und dem „Chor der fröhlichen Rentner“. Es könnte auch der Telekom-Männerchor oder der Gemischte von der BVG sein. Irgendeines jedenfalls von den 25 Ensembles, die den Tag unvergessen machen: „Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus.“
Aus dem Munde des Conferenciers hört sich das allerdings eher so an: „Im Frühling ist der Mai auch drinnen, hast du ne flotte Biene innen.“ Gern sieht man es ihm nach. Der Mann hat einen schweren Job, muss Leute zum Lachen bringen, die vom Alltag absorbiert sind. „Wat hat er jesacht?“, fragt eine Frau mit blaugrau onduliertem Haar ihre Nachbarin. „Ach Helga, haste wieder dein Hörjerät verjessen.“ Da stimmt der Chor „Komm lieber Mai an“. „Komm lieber Mai?“, fragt Helga. Die Nachbarin nickt. Helga singt mit. Ein Kanon wird draus. Sie stört es nicht.
So ein bisschen Seligkeit will am ersten Mai schon sein. Schließlich haben Du und Ich was auf uns genommen: Die Schlange am Eingang war lang und das Tierparklotterielos, mit dem man die Tiere unterstützt, war ne Niete. „Gern geh ick leer aus, wenn’s was nützt“, sagte eine Verliererin. Jetzt also gibt es Musike zum Vergnügen. Und nen Spaziergang dazu. Vom Terrassencafé zur Cafeteria. Denn die Hälfte der Chöre tritt hier auf, die andere dort. Auf dem Weg kommt man an Tieren vorbei. „Dit sin Dromedare, wa, Dromedare“, sagt ein Mann. Die Frau neben ihm nickt. „Kamele meinste.“ Aber genau das hat er nicht gemeint und das bekommt die Frau nun zu hören. „Sieht aber aus wie’n Kamel“, sagt sie.
„Tiere, die bringen das Herz des Menschen zum Sprechen.“ Franz von Assisi oder Albert Schweizer oder Jacques Cousteau haben das bestimmt mal gesagt. So oder so: Recht hätten sie auf jeden Fall. Denn auf dem Weg zur Cafeteria liegt den Leuten die Seele auf der Zunge. „Guck mal da, sehen aus wie Waschbären, sind aber Katzenbären.“ „Ist wie mit deinen Ohren. Sehen aus wie Rotzlöffel, sind aber Schuhlöffel.“ „Mensch Walter, reiß dich zusammen.“ „Ich mein ja nur.“
Ein kleiner Junge wiederum versucht mit einem Fuchs aus Bronze, der am Wegrand steht, in Kontakt zu kommen. Der Fuchs reagiert nicht. Da begreift das Kind, um was es geht. „Papa, das ist ein alter Fuchs.“ Singend hüpft es davon: „Der Fuchs ist ein alter. Der Fuchs ist ein alter.“
Und noch ein paar Schritte weiter kommt man am Gehege eines Riesenvogelpaars vorbei. Die beiden stehen an der Scheibe des Vogelhauses. „Sekretär“ steht auf dem Schild neben dem Fenster. „Das ist ein Sekretär“, belehrt ein Mann seine Frau. „Der frisst sogar Schlangen. Tritt sie mit seinen Krallen tot. Früher durfte er raus. Aber mit die Vogeljrippe jeht nüscht mehr. Nur die Staatssekretäre loofen noch frei rum.“
Auf der Terrasse der Cafeteria ist der Gesang in vollem Gang. Nach dem Frauenchor Cantabile, der – so will es der Conferencier – aus ehemaligen Interflug-Flugbegleiterinnen besteht, kommt der Berliner Siedlerchor Altglienicke zum Zug. „Siedler sagen sie und meinen Laubenpieper“, erklärt der Moderator. „Blüht schon was?“ „Sicher“, meint der Chorleiter. Martina, seine helfende Hand, hat schon einiges aus dem Boden gelockt. Das sähe schön aus. Was genau aufgegangen ist, weiß er nicht. „Wegen Martina sag ich einfach Martinen dazu.“ WALTRAUD SCHWAB