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Archiv-Artikel

FRIEDRICH ENGELS UND DIE PROBLEME DER KLEINEN LÄNDER Gegen Schottland darf man verlieren

Warum war das 0:0 der deutschen Fußballauswahl gegen Island eigentlich so schändlich? Und warum wird beim heutigen Spiel gegen Schottland nicht nur ein Sieg, sondern Rehabilitierung eingefordert? Auf den ersten Blick scheint es nur um die berechtigte Forderung des Publikums zu gehen, dass die deutschen Profis eine ihrem Honorar entsprechende Leistung zu erbringen haben – wäre da nicht bei den Kommentatoren ein seltsamer Unterton hörbar.

Es heißt, gegen Fußballnationen wie Island, Belgien oder Schottland dürfe man einfach nicht verlieren. Weil dort die Fußballkultur leider noch nicht sonderlich weit gediehen ist, es sich sozusagen um spielerische Entwicklungsländer handelt? Seltsames Argument, wenn man bedenkt, dass auf Schottlands Rasen schon ein gepflegter Kurzpass gespielt wurde, als in Deutschland noch Unklarheit herrschte, wie viele Spieler sich gleichzeitig auf dem Fußballplatz aufhalten dürfen.

In Wirklichkeit reduziert sich die Aufzählung auf schiere Größenverhältnisse. Die Botschaft lautet: Länder mit geringer Bevölkerungszahl haben im Fußballkonzert der Großen nichts zu suchen. Aber wie steht es dann mit Dänemark und Schweden, zwei allseits geachteten Fußballnationen mit nur bescheidenen Einwohnerzahlen? Die waren immerhin beide mal europäische Großmächte und außerdem kraft ihrer deutschen Territorien Mitglieder des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation? Also einzugemeinden?

Besonders ärgerlich, dass auch Fußballfans linker Provenienz in die Missachtung kleiner Fußballländer einstimmen. Hier zeigt sich der fortwirkende Einfluss schädlicher Theorien über „geschichtslose Völker“, die der ansonsten verdienstvolle Friedrich Engels verbreitete. Nach dessen Auffassung hätten Länder wie Tschechien oder Ungarn gar keine Nationalmannschaft aufstellen, geschweige denn wie Ungarn 1954 bis ins Endspiel vorstoßen dürfen.

Dort unterlag es allerdings gegen das geschichtsreiche Deutschland. Aber das ist nur eine Tatsache, kein Gegenbeweis.

CHRISTIAN SEMLER