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Archiv-Artikel

FINANZMINISTER STEINBRÜCK KRITISIERT DEN EU-STABILITÄTSPAKT Späte Lektion

Peer Steinbrück vollzieht eine ideologische Wende: Gestern attestierte der Bundesfinanzminister dem Europäischen Stabilitätspakt handwerkliche Mängel und wünschte sich eine stärkere Finanzierung der Sozialleistungen durch Steuern. Steinbrücks Sprecher versuchte zwar flugs, die Kritik herunterzuspielen. Aber dennoch: Der Chef hat Recht.

Die Erkenntnisse des Finanzministers stehen für eine ideologische Entrümpelung der deutschen Wirtschaftspolitik, deren Versagen immer dramatischere Formen angenommen hat. Leitmotiv dieses Irrglaubens war, man könne den Aufschwung herbeisparen. In volkswirtschaftlicher Blindheit verursachte der Sparkurs von Steinbrücks Vorgänger Hans Eichel durch Ausfälle bei Steuern und Sozialabgaben stets größere Schäden, als er einbrachte. Eichel erlag einem Phänomen, das Ökonomen als „Sparparadoxon“ bezeichnen: Anders als ein Privathaushalt kann ein Staat seine Ausgaben niemals unabhängig von seinen Einnahmen reduzieren. Denn staatliche Ausgaben sind immer die Einnahmen eines anderen. Der Staat muss also sehr behutsam vorgehen, wenn er seine Ausgaben in den Griff kriegen will. Mit seinem Umdenken ist Steinbrück auf der richtigen Fährte: Der EU-Stabilitätspakt ist ein notorisches Ärgernis. Seit seiner Einführung hat er sich als Konjunkturkiller erwiesen. Denn die erlaubte Grenze für die Neuverschuldung von drei Prozent musste immer wieder als Rechtfertigung für Eichels Sparkurs herhalten. Dabei ist der Wert von drei Prozent willkürlich gewählt und ökonomischer Schwachsinn, wenn man ihn als zwanghaftes Kritierium interpretiert. Er nimmt der Finanzpolitik den Spielraum für Investitionen und gehört als starre Grenze abgeschafft.

Steinbrück weiß, dass die Binnenwirtschaft nur wieder in Fahrt kommt, wenn auch der Staat investiert: in Bildung, Infrastruktur, Forschung – und eine angemessene soziale Sicherung. Für die Finanzierung dieser überlebenswichtigen Aufgaben müssen alle Einkommen herangezogen werden. Die Sozialleistungen aus Steuermitteln zu finanzieren und gleichzeitig die Staatseinnahmen zu erhöhen wäre deshalb ein Sieg der Vernunft über die Spar-Idiotie der Vergangenheit. TARIK AHMIA