FESTIVAL HEISST: MENSCHENMASSEN, CAMPING, KALTE DUSCHEN UND BANDS, DIE WIRKLICH KEINER SEHEN WILL. UND DANN GIBT ES NOCH DAS SPLASH-FESTIVAL : Die letzte Chance für die Rüpel
VON JURI STERNBURG
Ich war noch nie ein großer Freund von Musikfestivals. Es kommen da einfach zu viele Dinge zusammen, die ich nicht ausstehen kann, unter anderem Menschenmassen, Camping, kalte Duschen und Bands, die keiner sehen will.
Um also löchernden Fragen und Besuchsangeboten von befreundeten Berufsmusikern aus dem Weg zu gehen, habe ich vor vielen Jahren die Regel aufgestellt, nur noch auf Festivals zu fahren, wenn ich dekadent im Backstagebereich lümmeln kann, Freidrinks kriege und die Gigs der Künstler aus dem Graben oder von der Bühnenseite anschauen darf. Da dies natürlich relativ viel verlangt ist und auch eigentlich nur dem Zweck dient, immer eine Ausrede für diese Massenevents zu haben, beschränken sich meine Festivalbesuche in den letzten Jahren auf ein Minimum. Selbst ein äußerst tollpatschiger Tischler könnte sie an einer Hand abzählen.
Da war zum Beispiel das Berlinova-Festival, auf dem ich feststellen musste, dass die Sängerin der Black Eyed Peas aus der Nähe betrachtet sehr froh sein dürfte, dass die Photoshoptechnik bereits so weit fortgeschritten ist. Da war das Rockfest, wo ich verstand, was Rock ’n’ Roll bedeutet, als der Tourbus von Motörhead hielt, sich die Türen öffneten und eine ganze Schar betrunkener Groupies buchstäblich aus dem Bus fiel. Diese wurden dann, regungslos auf dem Boden liegend, quasi als roter Teppich für die Band zweckentfremdet, welche mit ihren Cowboystiefeln eiskalt über sie drüberlief. Und da war das Plötzlich-am-Bodden-Festival, auf dem ich, berauscht durch verschiedenste Substanzen und hinter dem DJ-Pult tanzend, urplötzlich meine Mutter im Publikum entdeckte. Wenigstens war sie nicht aus privatem Vergnügen anwesend, das macht die Geschichte etwas weniger merkwürdig.
Dieses Wochenende war es also mal wieder so weit, ich hatte tatsächlich Menschen gefunden, die bereit waren, sämtliche meiner Kriterien für einen Besuch zu erfüllen. Normalerweise hätte mich das in die prekäre Situation gebracht, eine weitere Ausrede erfinden zu müssen. In diesem Fall fehlte jedoch etwas ganz bestimmtes: Bands, die keiner sehen will. Denn das Splash!, seines Zeichens das größte und relevanteste HipHop-Festival Deutschlands, kann alljährlich mit einem Line-up aufwarten, das für anerkennendes Kopfnicken sorgt, zumindest im eher gesitteten Teil der Szene. Von Oldschool-Legenden wie A Tribe Called Quest oder KRS One bis hin zu den neuesten US-Krachern wie Tyler the Creator oder ASAP Rocky, hier geben sie sich die Klinke in die Hand. Aus Deutschland ist sowieso alles gebucht, was nicht bei drei auf den Bäumen ist.
Außer die sogenannten Straßenrapper (im Volksmund gerne Gangsterrapper genannt), diese dürfen leider nicht kommen, man will sich ja Backstage nicht auch noch mit Straßenjungs auseinandersetzen müssen, und außerdem fürchtet man sich wohl tatsächlich vor den angeblich so unberechenbaren Fans der Gattung „Auf die Fresse“-Rap. Stattdessen werden dann eben Künstler eingeladen, die zwar seit Jahren kein Album mehr rausgebracht haben, aber dafür schön brav bleiben.
Dementsprechend musste irgendwer den Part der Rüpel übernehmen, und ich kann aus Gründen der Verschwiegenheit leider nicht viel mehr verraten als: dies haben wir mit Freude getan. Auch wenn wir dafür täglich circa dreimal ins Produktionsbüro gerufen wurden, um uns „die letzte Chance“ vor dem Rauswurf abzuholen. Ich denke, das war es durchaus wert. Spätestens, als wir mit dem US-Rapper Waka Flocka Flame gemeinsam auf der Bühne (und wir reden hier nicht vom Bühnenrand) tanzten, war auch dem letzten Security klar, dass sie es dieses Wochenende nicht mehr schaffen würden, uns in den Griff zu bekommen.
Bis nächstes Jahr, Splash! Das könnte tatsächlich das erste Festival sein, auf das ich erneut fahren werde.