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Archiv-Artikel

FELIX LEE ÜBER POLITIK VON UNTEN Aus mörderischem Vorsatz

Nach dem Tod dreier Bankangestellter in Athen stellt sich die Frage nach der Verantwortung aller Demonstranten

Ich habe 1998 bei einem Nazi-Aufmarsch in der südniedersächsischen Stadt Hann.Münden erlebt, wie zwei Neonazis aus Versehen in eine Horde von Antifas gerieten. Den einen warfen sie in ein Schaufenster, der zweite Neonazi stolperte und fiel. Mit Tritten wurde er von allen Seiten malträtiert. Auch ich dachte: zu Recht. Ist ja ein Neonazi. Doch ein besonders kräftiger Antifa stellte sich dazwischen. „Das reicht“, sagte er und stieß die anderen beiseite. Der Neonazi konnte mit blutverschmiertem Gesicht weglaufen.

Diese Szene gab mir zu denken. Kein Fußbreit den Faschisten? Das findet ja allgemeine Zustimmung. Nazis verjagen? Auch daran ist im Prinzip nichts falsch. Aber brutal auf sie eintreten – ist das denn noch politisch? Inzwischen weiß ich: nein.

Was am 5. Mai in Athen während der Demonstrationen gegen die Sparpläne der griechischen Regierung und die Auflagen von IWF und EU geschah, ist zwar nicht eins zu eins zu vergleichen mit dem verprügelten Neonazi. In Athen zündeten vermummte – wahrscheinlich linke – Demonstranten eine Bank an, dabei kamen drei Angestellte ums Leben.

Doch während in Hann.Münden ein Antifa dazwischenging und dafür sorgte, dass der Neonazi nicht lebensgefährlich zusammengeschlagen wurde, stellte sich den Brandstiftern in Athen keiner entgegen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Schuldfrage der anderen Demonstranten und aller Sympathisanten der griechischen Anarchisten – immerhin gehört es bei ihnen seit vielen Jahren zum Aktionsrepertoire, Banken abzufackeln.

Verständlich, dass die griechischen Gewerkschaften ihre Proteste gegen die Sparpläne nach dem tragischen Tod der drei Unbeteiligten deswegen nicht komplett abblasen wollen. Doch so weitermachen, als wäre es bloß ein – wenn auch sehr – tragischer Vorfall von ein paar besonders Durchgeknallten?

Auf der Demonstration am Tag nach dem Tod der drei Bankangestellten skandierten einige Demonstranten: Das war Mord. Daran gebe es keinen Zweifel. Gemordet hätten der Staat und der Filialleiter der Bank, der seine Mitarbeiter trotz Generalstreiks dazu verdonnert hatte, im Gebäude zu verharren. Wissen sie wirklich, was sie da rufen?

Immerhin übernehmen einige griechische Anarchisten Verantwortung. Sie schreiben: „Wenn es unser Handeln nicht ausdrücklich unmöglich macht, dass solche Aktionen von Menschen aus unserem politischen Spektrum verübt werden, ist der Weg für solche Tragödien bereits vorgezeichnet. Aus mörderischer Verantwortungslosigkeit, aus blinder Wut oder Vorsatz.“

Mehr muss gar nicht gesagt werden.

Der Autor ist taz-Redakteur für soziale Bewegungen Foto: W. Borrs