FELIX LEE POLITIK VON UNTEN : Keine Zeit zum Protestieren
Seit den Sechzigern gab es das nicht mehr: eine Studi-Generation, die nie einen Unistreik erlebte
Wer in diesen Wochen auf dem Kapitalismuskongress von Attac oder dem McPlanet der Umweltinitiativen war, wird sich über mangelndes Interesse nicht beklagen können. Die Säle waren voll. Nur eins fiel auf: Das junge Publikum fehlte. Mit „jung“ sind keineswegs nur die 18-Jährigen gemeint. Auch die Alterskohorte der 20- bis 25-Jährigen war nur spärlich vertreten.
Jetzt haben sich mehrere Studentenverbände zusammengeschlossen, um vom 15. bis 19. Juni „gegen Studiengebühren und Sozialabbau“ zu protestieren. Einen Bildungsstreik haben sie ausgerufen (www.bildungsstreik2009.de). Ein ganz schön mutiges Unterfangen. Denn an den deutschen Unis ist politisch nicht mehr viel los. Die Symbiose von StudentInnen und Protest – das war einmal.
Spätestens seit den frühen 1960er-Jahren hat so gut wie jeder Student und jede Studentin mindestens einen Unistreik miterlebt. Das sagt zwar noch nicht viel über die Qualität des Protestes aus. Auch die Anliegen variierten. Und doch war es stets so, dass nach Sit-ins, Institutsbesetzungen, stundenlangen Vollversammlungen und Dauerdemos die Studis einander nicht nur sozial im an sich recht unpersönlichen Unibetrieb näherkamen. Ganze Politikerriegen sind aus diesen Protesten hervorgegangen.
Seit einigen Jahren ist es an den Hochschulen ruhig geworden. Den letzten bundesweiten Unistreik gab es 2003. Große Proteste folgten an einzelnen Unis noch einmal 2005. In diesem Jahr wird zum ersten Mal eine ganze Generation von StudentInnen ihren Uniabschluss machen, ohne nennenswerte Protesterfahrung gesammelt zu haben.
Erklärungen dafür gibt es viele. Vor allem durch die Einführung der Bachelorstudiengänge hat sich die Studienzeit bei gleichen Anforderungen erheblich verkürzt. Für politisches Engagement haben die Studierenden schlicht keine Zeit mehr.
Dies stellt alternde Politaktivisten bei der Rekrutierung ihres Nachwuchses vor neue Herausforderungen. Hopfen und Malz ist dennoch nicht verloren. Was bleibt, ist die Zeit danach. Ein 24-jähriger Uniabsolvent verfügt immer noch über genug Lebenszeit, sich politisch auszutoben, eh die Lebensumstände dem Engagement wieder Grenzen setzen.
■ Der Autor ist taz-Redakteur für soziale Bewegungen Foto: Wolfgang Borrs