FELIX LEE POLITIK VON UNTEN : Die Macht der Demobilder
POLITIKAKTIVISTEN MÖGEN DEN FERNSEHJOURNALISMUS EIGENTLICH NICHT. VERZICHTEN GEHT ABER AUCH NICHT
Immer das gleiche Spiel: Der Aktivist war auf einer Demo oder hat sich in sonst einer Form an einer lang vorbereiteten Aktion beteiligt. Und auch wenn er offiziell nie zugeben würde, dass sein Tatendrang doch ganz schön von der Reaktion der medialen Öffentlichkeit bestimmt wird, zeigt er sich enttäuscht, wenn es am Abend in den Lokalnachrichten allenfalls zu einer NIF, einer Nachricht im Film, also ein paar Fernsehbildern und einem kurzen Text reicht. In seinem Urteil über den Fernsehjournalismus fühlt sich der Aktivist dann wieder bestätigt: Presse auf die Fresse.
Fernsehjournalisten und Politaktivisten – ein schwieriges Verhältnis. Einerseits ist der Drang groß, in einem Land, in dem sich jeder Dritte in der Glotze über das aktuelle Geschehen informiert, ebenfalls in diesem Medium aufzutauchen. Andererseits ist die Enttäuschung vorprogrammiert. Denn das Anliegen wird nach Ansicht der Aktivisten nur in den seltensten Fällen ausreichend vermittelt.
Das liegt in der Natur der Fernsehberichterstattung. Medienanalysen belegen, dass sich ein Zeitungsleser am Ende der Lektüre immerhin noch an 50 Prozent des Inhalts erinnern kann. Beim Radio bleiben noch 30 Prozent hängen. Der Fernsehzuschauer hingegen kann sich nicht einmal an 10 Prozent erinnern.
Zugleich ist erwiesen, dass alle großen Protestbewegungen der vergangenen Jahrzehnte nur dann tatsächlich groß wurden, wenn das Medium Fernsehen auf sie aufmerksam gemacht hat. Dass es die 68er-Protestbewegung überhaupt zu ihrer gesellschaftlichen Bedeutung gebracht hat, hänge mit dem Fernsehen zusammen, hat der Philosoph Uwe Steiner beschrieben. Er gründet diese Aussage auf der Annahme, dass erst das Fernsehen den nationalen und sogar globalen Zusammenschluss der Protestierer ermöglicht habe. Und auch der 68er-Chronist Wolfgang Kraushaar analysiert, dass erst über das Fernsehen Protestereignisse zum selbstverständlichen Gegenstand öffentlicher Berichterstattung geworden sind.
Aktivisten von heute haben die Macht der bunten Bilder durchaus erkannt. Nur so ist zu erklären, warum auf manch einer Demo inzwischen mehr Leute mit Cams für YouTube-Filmchen herumspringen als Demonstranten mit Fahnen.
■ Der Autor ist taz-Redakteur für soziale Bewegungen Foto: Wolfgang Borrs