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Archiv-Artikel

FATALE ÜBERGÄNGE UND ANDERE GROSSE SCHRITTE Von der Stasi zur Gegenaufklärung

VON HELMUT HÖGE

Die taz porträtierte kürzlich den neuen Stasibeauftragten der Bundesregierung Roland Jahn als „Revolutionär“. Wahr ist, dass niemand dem zwangsausgebürgerten DDRler seinen Antikommunismus übel nahm, als er gegen Ende der 80er-Jahre bei der taz mitarbeitete, von wo aus er das ostdeutsche Regime publizistisch angriff und die Westberliner Autonomen, als sie sich auf der Flucht vor der Polizei mit Hilfe von Grenzern in die DDR absetzten.

Derber Realitätsverlust

Nach der Wende setzte Jahn diese Tätigkeit beim ZDF-Magazin „Kontraste“ fort. Da diente sein Wirken schon der West-Reaktion. Erst recht jetzt als Stasibeauftragter, denn ähnlich wie beim „Museum des Terrors“ in Budapest forciert diese Behörde des westdeutschen Innenministeriums den Realitätsverlust „DDR“, der ein Gesellschaftsverlust ist.

Beide Teile Deutschlands leben nun in „nachgesellschaftlichen Projektwelten“. Aber während der Osten die Revolution hinter sich hat, hat der Westen sie noch vor sich – die Erfahrung des Aufstands der Vereinzelten gegen die Repräsentation. Wie in vielen Ostblockländern handelte es sich bei der „friedlichen Revolution“ um eine Art antikoloniale Befreiung. Die jedoch bewirkte, dass man sich zusammen mit dem Regime auch gleich noch aller erkämpften Rechte entledigte und sämtliche gesellschaftlichen Reichtümer leichtherzig der Mafia überließ. In der DDR geschah dies mit dem Demo-Parolenwechsel von „Wir sind das Volk“ zu „Wir sind ein Volk“. Mit dieser Wiedervereinigungsformel („2 plus 4“) entledigten sich beide Teile Deutschlands der „imperialistisch-kolonialen Okkupation“.

Der in Berlin lebende kroatische Philosoph Boris Buden spricht von einem „fatalen Übergang“. Denn damit ging es nicht mehr um die Früchte der Tage des Zorns (wie jetzt in Ägypten zum Beispiel), sondern um eine Verlagerung des „gesellschaftlichen Antagonismus von Innen nach Außen“. Das hatte zur Folge, dass plötzlich gerade dort von Überfremdung und ähnlichen Rassismen die Rede war, wo es am wenigsten Ausländer gab, und dass verhindert wurde, den überwundenen „Kommunismus als einen Ausdruck gesellschaftlicher Antagonismen zu verstehen und ihn nachträglich – etwa als einen gescheiterten Versuch – in die Erzählungen von der Befreiung aufzunehmen“.

Bei dieser „Verunmöglichung“ steht an vorderster Front seit Abschluss der postkommunistischen DDR-Vermögensprivatisierung die Stasiunterlagenbehörde, die sich dabei der West-Medien bedient. So erwarb zum Beispiel der Spiegel gleich zentnerweise Stasi-Dokumente. Und als die Evaluierungskommission der Uni Leipzig befahl, 124 Stellen abzubauen, wurden kurz darauf genau 124 Mitarbeiter „rausgegauckt“. Von den vielen Fällen, da man einen unliebsam gewordenen Politiker mit der Stasi-Arschkarte entfernte, ganz zu schweigen.

Die Stasiunterlagenbehörde ist damit vollends zu einem Projekt der Gegenaufklärung geworden. Sie gehört in eine Reihe mit all dem „rückwärtsgewandten Zeug, das jetzt passiert – Burschenschaften, Schützenvereine, Fahnenweihen“, wie die Pastorin von Bischofferode sich ausdrückte, wo die Kalibergarbeiter am entschiedensten um ihr Werk und Soziotop kämpften.

Ein anderer Sinn

„Aus dieser Perspektive“, so meint Boris Buden, „bekommt auch jener schicksalhafte Übergang von ‚Wir sind das Volk‘ zu ‚Wir sind ein Volk‘ einen anderen Sinn. Während sich im ersten Schritt die Gesellschaft in einem Widerspruch zu erneuern versucht, ist sie im zweiten schon verworfen worden. Im ersten Schritt marschiert noch die demokratische Revolution; im zweiten ist schon der neoliberale Thermidor unterwegs.“

Während die West-Elite ihre Herrschaft über die sich befreienden Massen im Osten ausdehnte, ließ man sich gleichzeitig – hüben wie drüben – den sozialen Wohlfahrtsstaat zerschlagen. Durch ihr Ausbleiben im Westen 1990 wurde laut Boris Buden „die Revolution im Osten nicht bloß zu einer ‚Halb‘-, sondern gleich zu einer Konterrevolution“. Nun muss man Roland Jahn zugutehalten, dass er sozusagen die letzte Runde für seine Dienststelle einleitet, die wieder mehr für die Bespitzelten da sein soll, und dass er sich wirklich „zu Hause“ in der „Robert-Havemann-Gesellschaft“ der DDR-Oppositionellen fühlt.