Evolution: Bilder und Töne der Natur
Ein Werkzeug im Kulturkampf: Mit einem "Atlas der Schöpfung" wollen Evangelikale Darwins Evolutionstheorie widerlegen. Doch ihre Methode ist dürftig.
Es gibt Bücher, die strahlen Unangenehmes aus. Man will sie nicht bei sich in der Nähe haben. Dass man sie trotzdem behält, hat mit ihrem speziellen Inhalt zu tun. Es wird in solchen Büchern eine Summe eines Wissensmissverständnisses zusammengetragen, von der man sehr viel lernen kann. Der gerade erschienene "Atlas der Schöpfung" ist so ein Buch. In ihm hat der Autor Harun Yahya auf 800 Seiten großformatige Fotos von fossilen Knochen und Steinabdrücken von Kaninchen, Heringen, Ameisen oder Farnen zusammengetragen und mit Abbildungen heute lebender Farne, Ameisen und Kaninchen konfrontiert.
Das Ergebnis ist dabei immer das Gleiche: 30 Millionen Jahre sind die Kaninchenfossilien alt und lassen doch keinen Unterschied erkennen zu heute lebenden Kaninchenformen, also hat es keine Entwicklung, keine Evolution gegeben. Der "Atlas der Schöpfung" ist so etwas wie die Ikone des Kulturkampfes um die richtige Lehre von der Entstehung von Mensch und anderen Lebewesen, den die Evangelikalen, protestantische Sekten außerhalb der evangelisch-lutherischen Stammkirche, vermehrt auch hierzulande in die Schulen tragen. Der Atlas ist zuerst 2006 in Istanbul erschienen und wurde in Frankreich, Belgien, Spanien und der Schweiz vielen Schulen kostenlos zugeschickt.
Das Buch lässt vom ersten Satz an überhaupt keinen Zweifel aufkommen, wer sein Gegner ist. Die Widerlegung der Evolutionstheorie werde so stark betont, weil Darwins Theorie "die Grundlage für jede gegen die Religion gerichtete Philosophie darstellt". Das ist natürlich fundamentaler Unfug, denn Gott war schon tot, als Darwin seine Theorie von der Entstehung der Arten 1859 erstmals veröffentlichte. In deutscher Sprache hatten zum Beispiel Ludwig Feuerbach und Heinrich Heine Gott lange vor Darwin beerdigt. Genauso leicht wie die metaphysischen Behauptungen im Atlas lassen sich auch die biologischen Tatsachen widerlegen. Man muss nur anstatt des im Buch dokumentierten Barschs die Makrele nehmen, um die Feststellung zu erledigen, es lasse sich an keinem einzigen Fossil und seinen heutigen Lebensformen eine Evolution nachweisen. Makrelen haben nämlich im Unterschied zu den meisten anderen Knochenfischen ihre Schwimmblase wieder "abgeschafft". An fossilen Formen kann man sie noch finden, bei den heute lebenden Makrelen nicht mehr.
Trotz dieser leicht zugänglichen Argumente gegen den Schöpfungsatlas hielt der französische Erziehungsminister Gilles de Robien das Buch für so gefährlich, dass er es verbieten ließ. Interessant ist die Begründung, der sich Robien bediente. Der Biologe Herve LeGuyader warnte in einem Gutachten vor dem Buch gerade wegen seiner luxuriösen Form und der vermeintlich evidenten Bilder.
Daraus spricht ein Gespür für das methodisch tatsächlich Neue im Kulturkampf der Evangelikalen. Bisher galten die protestantischen Varianten des Christentums weder als besonders bilderfreundlich noch als luxusverliebt. Im Gegenteil: Es waren Martin Luthers radikale Parteigänger, die die Kirchen stürmten und die Ikonen auf eine Art zerschlugen, wie es zuletzt die Taliban mit den Buddha-Statuen von Bamiyan taten. Und es ist so unterschiedlichen Denkern wie Karl Marx und Max Weber aufgefallen, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der schmucklosen, arbeitsintensiv geregelten protestantischen Lebensweise und der Entwicklung des Kapitalismus.
In diesem Zusammenhang wird Harun Yahyas "Atlas der Schöpfung" exemplarisch. Yahya, der eigentlich Adnan Oktar heißt und aus der Türkei stammt, ist einer der umtriebigsten Autoren des evangelikalen Extremismus. Sein Werk wurde nach Angaben seines Verlages in 57 Sprachen übersetzt; es umfasst insgesamt mehr als 45.000 Seiten mit 30.000 Illustrationen. Allein die letzte Zahl lässt ihn zur herausragenden Figur der nachholenden Moderne der Evangelikalen werden. Was er mit der Bilderflut in seinem Schöpfungsatlas nachstellt, ist die allgemeine Dominanz des Sehsinns in der Moderne, die der Philosoph Ulrich Sonnemann als "Okulartyrannis" negativ bestimmt hat.
Modern sein heißt, die Welt als Bild zu begreifen. Eine der bis heute besten Darstellungen dieses Wandels hat Martin Heidegger in seinem Aufsatz "Die Zeit des Weltbildes" geliefert. "Weltbild, wesentlich verstanden", schreibt Heidegger, "meint daher nicht ein Bild von der Welt, sondern die Welt als Bild begriffen." Das Bild ist im Denken der Moderne kein Abbild von etwas mehr, das Dinge und Lebewesen originalgetreu nachzeichnet, sondern ein Modell, über das der Mensch verfügt und in dem er seine Korrekturen anbringt. Im Bild wird die Welt ästhetisiert und das Original, das Leben sozusagen, marginal. Mit der Verbildlichung der Welt werden die Gegenstände aber nicht nur ästhetisiert, sie werden auch in einem essenziellen Sinn aus der Macht des Schöpfergottes genommen. Mit der Ästhetisierung der Natur verliert Gott seine Macht über die Dinge. Auch deshalb gehören Bilder und bildgebende Verfahren zu den methodischen Unabdingbarkeiten der modernen Naturwissenschaften. Und moderne Naturwissenschaften sind seit ihrem Aufkommen im 17. Jahrhundert substanziell atheistisch. Wissenschaft ist nur möglich unter der Annahme, dass es keinen Gott gibt.
Die neuen Evangelikalen haben diese Implikation der Moderne auf eine Art lernen müssen, die sie jetzt in die Lage versetzt, mit den Mitteln der Wissenschaft die Wissenschaft auszuhöhlen. Das Perfide an Yahyas Schöpfungsatlas ist, dass er sich der Methoden und Darstellungsweisen der modernen Biologie bedient und sie ohne die alten protestantischen Skrupel vor dem Bild gegen die Bilder der Biologie kehrt. Der Witz an der Sache ist, dass Yahya das kann, weil speziell Darwin selbst die Bildtechnik zum Instrument seines Denkens gemacht hat.
Wie wichtig Bilder für die Entwicklung und Darstellung der Evolutionstheorie waren, kann man an einem anderen gerade erschienenen Buch nachvollziehen, an Julia Voss Studie "Darwins Bilder" (S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2007, 380 Seiten, 12,95 Euro). Voss Untersuchung ist das Antidot zu den neuen Kreationen der Evangelikalen. Die Autorin hat für ihre Studie, die die Buchfassung ihrer Dissertation ist, die Skizzenbücher und Bibliothek Darwins gesichtet und zeitgenössische Zeitschriften wie das Satireblatt Punch nach bildnerischen Reaktionen auf Darwins Theorie durchgesehen.
Dadurch entsteht ein Panoptikum Darwins und der Evolutionstheorie, das die vielfältigen Spiegelungen, die wissenschaftliches Denken beeinflussen und hervorbringen, aus den Bildern herauskitzelt. Das macht einerseits klar, wie viele unterschiedliche bildnerische Verfahren, Zeichnungen, Drucke, Fotografien etc. an der Erzeugung wissenschaftlicher Bilder beteiligt sind und ihre Produktion in einem ständigen Fluss halten; andererseits wird aber auch ihr Mangel offenbar. Man sieht das förmlich, um im Bild des Kitzelns zu bleiben, an dem mit "Der lachende Affe" überschriebenen Kapitel. Darwin hatte alle möglichen Darstellungen lachender Menschen gesammelt und sie mit Gesichtsausdrücken von Affen verglichen. Dabei waren ihm Ähnlichkeiten aufgefallen, die Vorstufen unseres Lachens bei den Affen erkennbar machten. An den Ergebnissen ist bis heute nichts auszusetzen, und doch bleibt ein Unbehagen. Lachen hat nicht nur eine optische Komponente, es ist wesentlich akustisch bestimmt. Das heißt: Eine Untersuchung dieser Ausdrucksform ohne Berücksichtigung der Lautäußerung und des Hörens bleibt unzulänglich.
Das kann man Darwin zwar nicht vorwerfen, weil die akustischen Aufnahmetechniken zu seiner Zeit dies nicht zuließen beziehungsweise noch gar nicht entwickelt waren, es bleibt aber der Schwachpunkt aller rein optisch orientierten Analysen, und das ist so etwas wie der Geburtsfehler der Darstellung der Evolutionstheorie. Seine erste Notiz, die er 1836 auf See in den "Ornithological Notes" niederschrieb und in der er die Stabilität der Arten in Frage stellte, bezog sich auf vier Galapagosspottdrosseln. Diese Drosseln singen sehr laut, melodiös, schier unfassbar variabel und von Insel zu Insel verschieden. Für Darwin zeigte ihr unterschiedlicher Gesang an, dass sie zu verschiedenen Arten gehören. Für die Darstellung ihrer jeweiligen Eigenart gab es nun das Problem, dass die vier sicher verschiedenen Arten relativ ähnlich aussahen. Um sie als verschieden zu charakterisieren, hätte Darwin ihre Lieder vorsingen müssen. Und das hätte ihm damals zu Recht keiner als Beleg für seine Thesen abgenommen.
Für heute reicht so ein Beispiel, um den Bilderstarrsinn Yahyas als das erscheinen zu lassen, was er ist: ästhetischer Mumpitz. Damit sind weder die schönen Bilder aus der Welt, noch ist das Zeitalter des Weltbildes vorbei. Es ist nur ein Weg angedeutet, wie man den Klerikalen begegnen kann, ohne gleich die Bibel zum Gegenstand des Biologieunterrichts zu machen, wie es die hessische Kultusministerin Karin Wolff (CDU) und der CSU-Bundestagsabgeordnete Norbert Geis vorgeschlagen haben. Man muss die Bilder weder stürmen noch anbeten, um zu hören, wo ihre Grenzen sind.
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