Europäisch-indisches Gipfeltreffen: Supermärkte versus Straßenhändler
Eine Marktöffnung ermöglicht euröpäischen Supermärkten die Expansion. Folge wäre die Zerstörung des indischen Einzelhandels und somit vieler Existenzgrundlagen.
BERLIN taz | Handelskonzerne drängen massiv auf den indischen Lebensmittelmarkt und bedrohen dadurch etwa 8 Millionen indische Arbeitsplätze in Einzelhandel und Landwirtschaft. Das ist das Ergebnis einer Studie, die die Entwicklungsorganisation Oxfam am Dienstag in Berlin vorgestellt hat.
Bisher wird in Indien lediglich 1 Prozent aller Lebensmittel in Supermärkten gekauft. Die Bevölkerung deckt sich bei Straßenhändlern oder "kiranas", dem indischen Pendant des Tante-Emma-Ladens, mit Lebensmitteln ein. Die Absatzmöglichkeiten lockt vor allem europäische Supermarktketten auf den Subkontinent. Bisher ist es den Unternehmen jedoch untersagt, eigene Filialen zu eröffnen. Sie dürfen laut indischem Gesetz lediglich im Rahmen von Joint Ventures investieren oder als Großhändler Waren anbieten.
Das soll sich nach dem Willen europäischer Unternehmen ändern. Sie hoffen auf ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien, das diese Beschränkung aufhebt. Dieses steht auf der Tagesordnung des europäisch-indischen Gipfeltreffens am Freitag in Delhi.
Sollte es zu einer Liberalisierung kommen, dürfte dies dramatische Auswirkungen auf den indischen Lebensmittelsektor haben, vom dem nach wie vor 60 Prozent der Bevölkerung leben. "Der Markteintritt von Konzernen wie Metro und Tesco wird den indischen Einzelhandel und die Landwirtschaft total umkrempeln", sagt Dharmendra Kumar. Er ist Leiter eines indischen Bündnisses, das gegen die Marktöffnung kämpft.
Da Supermarktketten mittlere und große Betriebe für ihre Lieferungen bevorzugen, müssten besonders Kleinbauern leiden, warnt Oxfam-Expertin Marita Wiggerthale. Auch Straßenhändler würde die Liberalisierung hart treffen. Sie stünden in direkter Konkurrenz zu den Supermärkten - ein Kräftemessen, das sie kaum gewinnen können.
Verhandelt wird über das Abkommen unter Ausschluss der Öffentlichkeit, wie Oxfam-Referent David Hachfeld erläutert: "Die Verhandlungstexte sind nicht öffentlich, daher wissen wir auch nicht, worüber genau geredet wird." Er fordert deshalb eine vorläufige Unterbrechung der laufenden Gespräche. Es müsse sichergestellt werden, dass das Abkommen "eine sozial und ökologische nachhaltige Entwicklung nicht behindert", so Oxfam.
Konkret könnte dies durch eine wirksame Regulierung erreicht werden. Wiggerthale forderte, beispielsweise die Ketten zu verpflichten, nur inländische Produkte zu kaufen oder verstärkt Produkte von Kleinbauern abzunehmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“