Es reicht, Herr Schröder. LeserInnen vermuten:: Von eigener Unfähigkeit abgelenkt
betr.: „Der Verdacht“ (Schröder und die Faulheit der Arbeitslosen), taz vom 7. 4. 01
Ich kann Ihrer Meinung in vollem Umfange zustimmen, nur im letzten Absatz haben Sie sich geirrt.
Seit Anfang dieses Jahres laufen im gesamten Bundesgebiet Modellprojekte in der Zusammenarbeit zwischen Arbeits- und Sozialämtern, Neumüster hat eines davon. Nach einer Pressemitteilung des Sozialministeriums Schleswig-Holstein dienen diese Modellprojekte, die bis zum Jahre 2004 laufen, nur dazu, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammenzulegen. Was das für einen Einschnitt in unser soziales System bedeuten würde, kann sich jeder ausmalen. Nur vor der Bundestagswahl wagt es niemand auszusprechen. Denn vier Millionen Wählerstimmen sind auch für Herrn Schröder ein Argument, seine wahren Absichten nicht an die breite Öffentlichkeit zu bringen. Also prügelt man auf die Arbeitslosen ein, um hier noch vor der Wahl die Öffentlichkeit auf seine Seite zu ziehen. Herr Schröder hat sein Wahlversprechen gebrochen, eine wesentliche Absenkung der Arbeitslosenzahl ist nicht in Sicht. Die Prügelknaben sind die Arbeitslosen selbst.
JÜRGEN HABICH, Erwerbsloseninitiative Neumünster
betr.: „Schröder: Faule! Arbeiten!“, taz vom 7. 4. 01
Die Art und Weise, wie Arbeitslosigkeit zunehmend mit Schuld und Scham belegt wird, ist beängstigend und abstoßend. Fakt ist, dass durch die zunehmende Automatisierung in allen Lebensbereichen (von Fertigungsrobotern in Fabriken bis Service-Terminals in Banken und bald auch Supermärkten) immer mehr Arbeitskräfte überflüssig werden. Fakt ist auch, dass allein durch den Abbau von Überstunden (dieses Jahr sollen es 1,8 Milliarden Stunden werden) eine Unzahl neuer Arbeitsplätze geschaffen werden könnten. Fakt ist, dass die Firmen nicht zögern, Mitarbeiter zu entlassen, sobald die Gewinnkurven ein wenig flacher werden – ohne dass die Politik sich auch nur annähernd so sehr aufregt wie bei den vermeintlichen Sozialschmarotzern. Fakt ist auch, dass die meisten Arbeitslosen nicht gerne arbeitslos sind. Für die Mehrheit trifft das Gegenteil zu: Sie haben Existenzängste, schämen sich für ihre Lage und haben kaum Perspektiven.
[...] Indem man als Politiker den schwarzen Peter den Arbeitsunwilligen zuschiebt, kalkuliert man bewusst mit einer empörten Stimmung der arbeitenden Mehrheit und hat schnell von der eigenen Unfähigkeit abgelenkt, tragbare Konzepte für den Umgang mit der grundlegenden Veränderung unserer Arbeitsgesellschaft zu entwickeln. Herr Schröder ist sich entweder nicht zu schade, sich plumpes Stammtischgeschrei zu Eigen zu machen, oder er hat die Zusammenhänge seiner heiß geliebten Volkswirtschaft nicht verstanden. Beide Vorstellungen geben nicht wenig Anlass zur Sorge. ROLAND KÜFFNER, Erlabrunn
Jetzt reicht es! [...] Bevor Schröder solche Äußerungen in den Mund nimmt, sollte er erst einmal überprüfen, wer sich hinter diesen Zahlen verbirgt.
Ich – und da bin ich mit Sicherheit kein Einzelfall – habe sofort, als ich von Kündigung und damit Arbeitslosigkeit bedroht war (ein halbes Jahr vor Eintritt der Arbeitslosigkeit), Kontakt mit dem Arbeitsamt aufgenommen, weil ich große Angst vor längerer Arbeitslosigkeit hatte. Ich habe mir intensiv Gedanken über meine Möglichkeiten, Chancen und Fähigkeiten gemacht und habe mich letztlich für eine Weiterbildung im IT-Bereich entschieden, einem Bereich also, in dem doch Fachkräfte so händeringend gesucht werden. Auch das Arbeitsamt war aufgrund meines bisherigen Lebenslaufs der Meinung, dass für mich eine Weiterbildung wichtig wäre, um meine Chancen auf eine anspruchsvolle und auch sinnvolle Tätigkeit zu verbessern.
Die Weiterbildung habe ich schließlich nicht bekommen, da das Arbeitsamt nun auf einmal der Meinung ist, ich wäre so hoch qualifiziert, die Zeit meiner Arbeitslosigkeit wäre erst viel zu kurz (die Maßnahme hätte einen Monat nach Beginn der Arbeitslosigkeit begonnen), meine Vermittlungschancen müssten nun erst einmal intensiv geprüft werden, und außerdem seien keine Gelder für Weiterbildung in diesem Bereich vorhanden. In dem halben Jahr zuvor, in dem ich in intensivem Kontakt mit dem Arbeitsamt war, habe ich Aussagen in dieser Richtung nie gehört. Ganze zwei Vermittlungsangebote habe ich in dem Dreivierteljahr, in dem ich nun als arbeitssuchend gemeldet bin, bekommen.
Aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen empfinde ich daher die Äußerungen des Bundeskanzlers als Hohn und fühle mich zudem verarscht.[...] Ist denn tatsächlich eine Tätigkeit zumutbar, die weder den Fähigkeiten bzw. dem Potenzial entspricht noch eine dauerhafte Perspektive bietet? Ist es zumutbar, eine Tätigkeit anzunehmen, die nichts anderes als ein Job ist, bei der man weder gefördert noch gefordert wird? Ich bin einmal mit großen Erwartungen in meine berufliche Ausbildung gestartet, hatte die Hoffnung, mit Studium und Promotion eine Stelle zu finden, die meinen Fähigkeiten und meinem Potenzial entspricht, die mir Spaß macht und bei der ich Entwicklungsmöglichkeiten habe. Ist das wirklich zu viel verlangt?
Der Vergleich der reinen Zahlen der gemeldeten Arbeitslosen und der offenen Stellen ist wohl nichts anderes als eine Milchmädchenrechnung. Hinterfragt werden müsste, was sich hinter den offenen Stellen verbirgt bzw. wieso sie nicht besetzt werden. Vermutlich handelt es sich dabei zum einen um Stellen, derentwegen auch ein Arbeitnehmer seine Stelle nicht wechseln würde, weil Bezahlung und sonstige Bedingungen nicht akzeptabel sind. Oder aber es werden Fachkräfte mit Qualifikationen gesucht, die nur schwer zu finden sind, wie zum Beispiel in der IT-Branche. [...] Über eine Änderung der Arbeitsmarktpolitik hätte Schröder sich vielleicht schon mal eher Gedanken machen sollen, statt nun zum Rundumschlag auszuholen. Ich wage zu bezweifeln, dass der Bundeskanzler im nächsten Jahr auf die Stimmen der Arbeitslosen verzichten kann. SUSANNE REUBER, Freiburg
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