Erschießung von brasilianischem Terrorverdächtigen: Scotland Yard schuldig
Ein britisches Gericht verurteilt die Londoner Polizei, weil sie vor zwei Jahren einen brasilianischen Terrorverdächtigen in der U-Bahn erschoss. Einzelne Polizisten wurden nicht verurteilt.
LONDON dpa/ap Mehr als zwei Jahre nach den Todesschüssen auf einen unschuldigen Terrorverdächtigen ist die Londoner Polizei wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit verurteilt worden. Eine Geschworenenjury am Obersten Kriminalgericht Englands befand am Donnerstag, dass die damals beteiligten Polizeibeamten Gesundheits- und Sicherheitsverordnungen verletzt und damit das Leben unbeteiligter Zivilpersonen in Gefahr gebracht haben.
Der fälschlicherweise als Terrorverdächtiger eingestufte Brasilianer Jean Charles de Menezes war von der Polizei überwacht worden. Als er eine U-Bahn-Station betrat, wurde er von Polizisten aus kurzer Distanz mit sieben Schüssen in den Kopf getötet. Die Polizei hat die Verantwortung für den Tod des jungen Brasilianers übernommen. Ein Richter legte der Londoner Polizei dafür eine Strafe von 175 000 Pfund auf sowie die Bezahlung der Gerichtskosten in Höhe von 385 000 Pfund - insgesamt umgerechnet 806 000 Euro. Einzelnen Polizisten wurde keine individuelle Schuld an dem chaotischen Vorgehen bei der Verfolgung und Erschießung von de Menezes zugewiesen. Angehörige von des Brasilianers kritisierten den Ausgang des Verfahrens. "Wir fordern eine vollständige und unabhängige Untersuchung und die Bestrafung der Verantwortlichen", erklärte Familiensprecher Erionaldo da Silva. "Wir werden den Kampf für Gerechtigkeit fortsetzen."
Scotland-Yard-Chef Ian Blair betonte sein "tiefes Bedauern" über den "tragischen Tod". Er bekräftige eine frühere Entschuldigung der Polizei bei dessen Familie. Scotland Yard werde sein Vorgehen bei der Verfolgung von Terrorverdächtigen überprüfen, um Gefährdungen von Unschuldigen so weitgehend wie möglich auszuschließen. Politiker der Opposition forderten nach dem Schuldspruch Blairs Rücktritt. Der Polizeichef lehnte dies ab. Innenministerin Jacqui Smith sprach ihm ihr Vertrauen aus.
Bereits im August war in einer Untersuchung kritisiert worden, der 27-Jährige Brasilianer habe keinerlei Chance gehabt, seine Unschuld zu zeigen, als er bei der Polizeiaktion am 22. Juli 2005 in der U- Bahn-Station Stockwell mit sieben Kopfschüssen getötet wurde. Staatsanwälte hatten im jetzigen Verfahren geltend gemacht, dass die Planung und Ausführung der Anti-Terroraktion durch zahlreiche "schockierende und katastrophale" Fehler beeinträchtigt war.
Die Polizisten hatten de Menezes damals mit dem Attentäter Hussein Osman verwechselt. Dieser war später mit drei anderen Terroristen wegen versuchter Bombenanschläge in der Londoner U-Bahn am 21. Juli 2005 zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Sie hatten die Anschläge vom 7. Juli nachahmen wollen, bei denen vier Selbstmordattentäter in London mit Rucksackbomben 52 Menschen mit in den Tod gerissen hatten.
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