Eine deutsch-deutsche Schieberkarriere: Von Ost-Berlin nach Rosenheim

Honeckers Leibschieber Schalck-Golodkowski ist nicht der erste hochrangige Ostmafioso, der in Bayern eine neue Heimat fand/ Die seltsame Geschichte des Simon Goldenberg/ Teil 2 der taz-Serie über dubiose Drähte zwischen ehemaligen Devisenbeschaffern, CSU-Freundeskreisen und Westgeheimdiensten  ■ Von Thomas Scheuer

Als „Mammut-Schmuggelprozeß“ ging das Verfahren in die Analen der Wiener Justiz ein. Verhandelt wurde Mitte der siebziger Jahre gegen eine Schmugglerbande, die tankwagenweise Rohalkohol von Ost- nach Westeuropa verschoben hatte. Als ihren Partner im Osten nannten die Angeklagten immer wieder einen Herrn namens Simon in Ost-Berlin. Der habe für seine Kumpane im Westen den schwarzen Sprit aus roten Quellen sprudeln lassen. Simon habe auch die Visa für die Fahrer sowie gefälschte Frachtpapiere besorgt.

Wenig später nahm auch im elsässischen Mülhausen der Untersuchungsrichter Germain Sengelin die Spuren mehrerer europaweit operierender Schmugglerbanden auf. Immer wieder endeten Sengelins Nachforschungen an der deutsch-deutschen Grenze. Um die Kanäle der Ost-West-Connection aufzudecken, leierten deutsche und französische Zollämter um die Jahreswende 1977/78 gemeinsam die „Aktion Vesuv“ an.

Rasch wurde klar, daß einige der größten Schmuggleranden von offiziellen Stellen der DDR gedeckt sein mußten. Beispielsweise war westdeutschen Fahndern aufgefallen, daß ausgerechnet die von ihnen observierten Schmugglertrucks von den sonst so peniblen DDR-Grenzern einfach durchgewunken wurden. Das Zollkriminalinstitut in Köln, das damals die „Aktion Vesuv“ koordinierte, notierte: „Es steht fest, daß die hier praktizierte Schmuggeltechnik nur deshalb reibungslos funktioniert, weil Stellen in der DDR eingeschaltet sind, die diese kriminellen Vereinigungen wirkungsvoll unterstützen, z.B. durch Verschlußmanipulationen, Be- und Entladung in DDR-Transitlagern, bevorzugte Abfertigung der Transporte durch DDR-Grenzorgane.“

Als ein Zentrum dieser Ost-West- Connection lokalisierten die Fahnder die F.C. Gerlach in Ost-Berlin. Sie war, so ein Exaußenhändler, „zuständig für die Sondersachen“. Deren Aktivitäten sind treffend nur mit dem kriminologischen Modebegriff „organisierte Kriminalität“ zu umschreiben. Geschmuggelt wurde alles, was im Westen mit hohen Steuern belegt ist, vor allem Zigaretten und Alkohol.

Daneben schummelte die Gerlach-Gang mit Schlachtvieh, Stahl und andere Produkten, die in der EG quotengeregelt und hochsubventioniert waren. Dazu kamen die Hehlerei von „enteigneten“ Antiquitäten, vor allem über einen Laden im noblen Lugano, und der Schmuggel von Amphetaminen, vorwiegend nach Fernost.

Aber auch Waffen, so fand Richter Sengelin heraus, wurden über die bewährten Schmuggelpfade geschleust, etwa via Frankreich nach Spanien an die Separatisten der ETA oder via Italien nach Nordafrika. Quasi auf dem Rückweg wurden High-Tech-Produkte und Embargo- Waren in die DDR gebracht.

Geheimnisvoller Monsieur „Simon“?

Doch wer waren die staatlich gedeckten Drahtzieher hinter den Ost- Berliner „Privatfirmen“? Im Rahmen der „Aktion Vesuv“ verhaftete Spediteure und LKW-Fahrer nannten auch hier immer wieder einen ominösen Herrn Simon als Hintermann. Die Fahnder rätselten. „Wie mit dem Fallschirm gelandet“, so erinnert sich Richter Sengelin, stand eines Tages vor seinem Richtertisch ein Monsieur Leon. Der stellte sich, aus Wien kommend, als Agent des israelischen Geheimdienstes Mossad vor; auch dem französischen Geheimdienst gehe er gelegentlich zur Hand. Ihm sei zu Ohren gekommen, daß dem Herrn Richter die Identifikation eines gewissen Simon Schwierigkeiten bereite. Er, Leon, könne da Abhilfe schaffen. Leon erzählte und Sengelin staunte.

Daraufhin richtete Sengelin 1982 eine offizielle Anfrage an den französischen Geheimdienst, die Direction de la Surveillance du Territoire (DST) in Paris und auch an das Geheimdienstbüro bei der französischen Militärmission in West-Berlin. Die Berichte der Geheimdienstler bestätigten Leons Story: Hinter „Simon“ verbarg sich der Ostberliner Schwarzhändler Simon Goldenberg. Den Mann hatten westliche Geheimdienste schon seit den fünfziger Jahren im Visier. In den sechziger Jahren gehörte Goldenberg sogar zu den Zielpersonen einer großangelegten Gegenspionageoperation von CIA und BND.

Elias Bayer bestellt die taz in eine Hotelhalle; eine alte Gewohnheit aus den Zeiten seiner heißen Einsätze im Osten: „Damals haben wir uns zum Informationsaustausch auch immer in Hotelhallen getroffen.“ Elias Bayer, unter diesem Decknamen machte sich der staatenlose Jude unter der Legende eines Geschäftsmannes seinerzeit im BND-Auftrag an Goldenberg und andere Ostgrößen heran. Eine heikle Mission. In der DDR stand auf Spionage die Todesstrafe.

Heute lebt der „abgeschaltete“ Spitzenagent in einer westdeutschen Großstadt. Schmunzelnd liest er in einer Sitzecke der Hotelhalle den DST-Bericht über Goldenberg. Stimmt alles! Höchstwahrscheinlich waren es teilweise die Früchte seiner eigenen Spionagetätigkeit, die ein DST-Beamter in Paris Jahre später für den elsässischen Richter zusammenfaßte.

Die Biographie eines Kosmopoliten

Zu lesen ist die Biographie eines Kosmopoliten. Geboren wurde der kleine Simon im September 1914 in Konstantinopel. Später floh die Familie vor den Judenverfolgungen in der Türkei, zuerst nach Kairo, später weiter nach Paris. Nach dem Einfall der Nazis kamen Eltern und zwei Geschwister in Auschwitz um.

Über Simons Lebensweg unter der Nazi-Besatzung werden unterschiedliche Versionen gehandelt: Nach der einen soll er sich antifaschistischen Partisanen angeschlossen, nach der anderen mit den Nazis kooperiert haben. Sicher ist, daß er bald nach dem Krieg wegen diverser Delikte wie Scheckbetrug und Falschgeldhandel mit der französischen Justiz über Kreuz lag. Goldenberg wurde die französische Staatsbürgerschaft entzogen.

Etwa 1950 übersiedelte Goldenberg nach Berlin, zu jener Zeit Eldorado für Schwarzhändler und Schieber. Er wechselte in den Ostsektor der Stadt, heiratete die Tochter eines hohen SED-Funktionärs und erhielt die Staatsbürgerschaft des jungen Arbeiter- und Bauernstaates.

Goldenberg durfte, ein ganz außergewöhnliches Privileg, in Ost- Berlin Privatfirmen gründen und stieg ganz groß in den Außenhandel ein. Sein engster Partner war ein Pole namens Hersz Libermann alias Michael „Mischa“ Wischnewsky, ein Profigangster, der seinen Sitz ebenfalls von Frankreich nach Ost-Berlin verlegt hatte. 1955 wurde er in West- Berlin wegen Menschenraubs verhaftet, von einem Fluchthelfertrupp aus dem Zuchthaus Tegel befreit und in den Ostsektor der Stadt zurückgebracht.

Westlichen Diensten galt „Mischa“ als einer der fettesten Karpfen im Ostberliner Geheimdienstsumpf; der Topmann des KGB, soll gleichzeitig Oberst des MfS gewesen sein und als Verbindungsmann zwischen beiden „Firmen“ fungiert haben. Das jedenfalls behauptet ein polnischer Exgeheimdienstoffizier, der heute im schweizerischen Lausanne seinen Lebensabend verbringt. In einem Dossier des Verfassungsschutzes heißt es über „Mischa“: „Einer der Größten beim Schmuggel und Schwarzhandel mit allem Möglichen, von Wurstpellen über Alkohol bis zu Edelmetallen, auf das engste mit dem MfS verbunden.“

Elias Bayers heikelste und letzte Mission war die „Operation Argus“: Im Auftrag von CIA und BND sollte er „Mischa“ in den Westen locken. Um seine Glaubwürdigkeit zu beweisen, durfte Elias mit dem Segen des CIA sogar ein amerikanisches Schnellfeuergewehr als „Warenprobe“ in den Osten „schmuggeln“. Der Lockversuch schlug fehl. Elias Bayer konnte sich gerade noch rechtzeitig in den Westen absetzen; für Osteinsätze war der BND-Agent danach „verbrannt“.

Bis in die letzten Tage des Honecker-Regimes war der Gangster und Agent Wischnewsky einer der engsten Mitarbeiter des Schieberpapstes Alexander Schalck-Golodkowski. Seit 1958 leitete er die F. C. Gerlach, ein Kernstück des KoKo- Imperiums. Zu Schalcks Kommandozentrale, dem KoKo-Sitz in der Wallstraße, schleppte „Mischa“ noch in den ersten Novembertagen 1989 eigenhändig Koffer mit Barbeträgen in Millionenhöhe. Er soll sich mittlerweile in die UdSSR abgesetzt haben. Im Westen ist der Mann zur Fahndung ausgeschrieben. Sein Boß i. R. genießt derweil den bayerischen Winter.

Mafiose Schiebertypen à la Goldenberg und Wischnewsky samt ihrer staatlich kontrollierten Schummelfirmen verkörperten auch die Verfilzung von Außenhandel und Geheimdienst. Beide waren in der DDR eine klassische Symbiose eingegangen: Über die gleichen Kanäle, die dem devisenträchtigen Schmuggel gen Westen dienten, wurden Embargogüter geschleust und geheimdienstliche Operationen abgewickelt. Vom westdeutschen Verfassungsschutz erhielt die F. C. Gerlach den Stempel: „MfS-anhängig“.

Das galt auch für Oberaufseher Schalck-Golodkowski. Der hatte sein „juristisches“ Studium an einer Hochschule des MfS absolviert; in seiner Doktorarbeit ergoß er sich über die „Nutzung feindlichen Wirtschaftspotentials“. Als er sich im Dezember 1989 in den Westen verdrückte, trug er den Titel eines Generalleutnants der Stasi und war Offizier im besonderen Einsatz (OibE). Der konspirative Charakter des DDR-Außenhandels bot zudem den idealen Nährboden für die persönliche Bereicherung der SED-Bonzen und ihrer Handlanger.

Fliegender Wechsel in den CSU-Freistaat

Zurück in Monsieur Sengelins Richterzimmer in Mülhausen. Der französische Geheimdienstreport (siehe Faksimile) las sich wie ein Taschenkrimi. Der größte Knüller aber war: Als der Richter das DST-Papier 1982 auf den Tisch bekam, lebte Simon Goldenberg gar nicht mehr im Osten. Schon 1976 hatte der Wahl-DDR- Bürger seinen Wohn- und Geschäftssitz samt Familie, als sei so ein fliegender Wechsel von Ost nach West das selbstverständlichste der Welt, ins bayerische Rosenheim verlegt.

Nach 14 Tagen besaß der Neurosenheimer westliche Papiere. Polizeilich gemeldet war er zunächst im Gästehaus der alteingesessenen Schlachterfamilie März. Die Geschäfte verbanden den Fleischer- Clan mit dem Schieberpapst. Die März-Firma Marox wickelte seit Jahren millionenschwere Schlachtviehimporte über Goldenbergs DDR-Firmen ab.

Im Landhaus der März-Brothers bei Rosenheim verkehrten aber auch andere hochkarätige Gesprächspartner aus Ost und West — etwa Franz Josef Strauß und Alexander Schalck- Golodkowski.

Morgen in der taz: Das Geheimnis des Rosenheimer Kreises