„Ein Spezialist für komplizierte Grundstücksfragen“

Über das kleine mecklenburgische Dorf Passee brach das Unglück 1991 in Gestalt Christoph Wöhlckes herein. Der Makler aus Bad Schwartau erwarb dort ein Stück Land. Damit fielen ihm auch die darauf stehenden Gebäude der LPG zu. Die Bewohner sehen sich seitdem mit hohen Mietforderungen konfrontiert und vom Rechtsstaat verlassen. Seit nunmehr fünf Jahren tobt der „Krieg in Passee“  ■ Von Helmut Höge

„Leben – Erholen – Investieren“ (Motto der Wirtschaftsförderung Mecklenburg-Vorpommern)

„Es ist wichtig, daß man nach Lösungen sucht, damit die Leute Beschäftigung finden. Der Aufhänger, den hier der Bürgermeister gefunden hat, ist besonders vielversprechend“, meinte der Sozialminister von Mecklenburg- Vorpommern, als er den Haustierrasse-„Schutzpark Passee-Tüzen“ Ende Juni eröffnete. Mittels 17 Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und 1,5 Millionen Mark Sachkosten hatte der ehrenamtliche Bürgermeister Adolf Wittek – als ABM-Projektleiter – seit 1993 ein 40-Hektar-Gelände hinterm Dorf umgestalten lassen. Ein Gutsgebäude in Tüzen wurde zu einer Stallanlage umgebaut, nebendran errichtet ein Ehepaar aus Thüringen ein Restaurant. Die Gemeinde Passee hat drei Tierpfleger angestellt, die Entwicklungsträger-Gesellschaft Kühlung-Salzhaff bezahlt das Leitungsgremium: Ein Tierarzt, eine Agraringenieurin und den gelernten Kellner Wittek. Das „Park-Informationssystem“ entwarf die Kunstschule Heiligendamm, die Ausrichtung des Eröffnungsfestes besorgte die Beschäftigungsgesellschaft „Musower Landschaft“.

Es begann harmlos mit einem Landkauf

Der Landrat meinte in seiner Eröffnungsrede, daß das berühmt gewordene Dorf Passee mit diesem „Projekt“ hoffentlich erneut – „aber diesmal anders“ – in die Schlagzeilen gerate. Er spielte damit auf das Wirken des Bad Schwartauer Maklers Christoph Wöhlcke und dessen Lübecker Rechtsanwalt Eckhard Tribess an, das seit 1991 die Gemeinde und seine 250 Einwohner buchstäblich in Atem hält. Es begann – harmlos – damit, daß Wöhlcke von einer Erbengemeinschaft für 60.000 Mark elf Hektar Land im Ortskern von Passee erwarb: für 52 Pfennig pro Quadratmeter. Das Grundstück hatte zu DDR-Zeiten bereits die LPG für 10.000 Mark gekauft, es jedoch nicht ins Grundbuch eintragen lassen. 1972 war dort mit Baugenehmigung eine Kläranlage und die Gemeindeverwaltung mit Post, Arztstation und Konsum errichtet worden. Außerdem hatte die LPG einen Bauernhof in ein Zweifamilienhaus umgebaut, und privat war eine Garage auf dem Grundstück errichtet sowie ein Obstgarten angelegt worden. Als Wöhlcke dem Bürgermeister einen Mietvertrag für das öffentliche Gebäude präsentierte, ging dieser zunächst von einem Mißverständnis aus: „Wir hatten dafür doch schon zu DDR-Zeiten mit unseren Steuern gezahlt!“ Das war allzu naiv gedacht, denn dem nun auch in Passee geltenden deutschen Recht war diese Eigentumskonstruktion – der Trennung von Grund und Gebäuden – fremd. Da im Einigungsvertrag keine Überleitungsregeln dafür geschaffen worden waren, mußte mittels „Vermögensrechtsänderungsgesetz“ und „Sachenrechtsbereinigungsgesetz“ nachgebessert werden – und das dauerte. In der Zwischenzeit versuchten die mecklenburgischen Richter, zumeist Leihbeamte aus dem Westen, „business as usual“ durchzusetzen. Der regelmäßig seinen neuen Passeer Grundbesitz inspizierende Wöhlcke steigerte seine Mietforderungen schließlich auf 12.000 Mark monatlich für das Mehrzweckgebäude und 15.500 für die Kläranlage. Vom Konsum, der seit der Wende von der Frau des Bürgermeisters, Regina Wittek, betrieben wird, verlangte er 5.000 Mark. Und weil er auf eigenem Grund und Boden machen könne, was er wolle, ließ er später die Garage niederreißen und die Obstbäume fällen.

Eine 675-Jahr-Feier mit Zwangsräumung

Während der Zweckverband in Wismar, als Betreiber des Klärwerks, sich bemühte, im Zuge eines Flurneuordnungsverfahrens nicht nur Nutzer, sondern auch Eigentümer des Grundstücks zu werden, versuchte Wöhlcke, für den dieses Ansinnen „Kommunismus in reinster Form“ war, gerichtlich das Nutzungsentgelt einzutreiben. Unterdes betonierten Unbekannte das Ablußrohr des Klärwerks zu und beschädigten den Bagger des Zweckverbands, der die Anlage in Passee schließlich von einem Nachtwächter schützen ließ. Als dieser eines morgens mit seinem PKW nach Hause fuhr, wurde er von Wöhlcke verfolgt, der das Auto des Nachtwächters rammte. Wenig später schlug Wöhlcke auch noch den Bürgermeister zusammen, als der trotz mehrmaligen Verbots, das Grundstück zu betreten, des Maklers vermeintlich unerlaubte Anwesenheit am Klärwerk zu photographieren versuchte. Just am Tag, als die Gemeinde Passee ihr 675jähriges Bestehen feierte, ließ Wöhlcke den Lebensmittelladen von einer Gerichtsvollzieherin, die zwanzig Polizisten mitbrachte, zwangsräumen. Frau Wittek ging daraufhin auf den Makler los. Auch die Dorfbewohner griffen ein: Mit Wäschekörben organisierten sie auf die Schnelle den Umzug des Konsum in das leerstehende LPG-Kulturhaus auf der anderen Seite des Dorfplatzes. Wöhlcke vermietete später „seinen“ Laden an die einzige CDU-Vertreterin im Gemeinderat: Anita Zielinski, die jedoch bald Konkurs anmeldete und wegzog. Die Passeer hängten ein Transparent über die Straße: „Wöhlcke konnte den Laden erringen, aber uns wird er niemals bezwingen.“

Im Herbst 1992 ließ Wöhlcke die Zufahrt zum öffentlichen Parkplatz neben dem Gemeindebüro mit einer Schranke und einem Vorhängeschloß blockieren. Nachdem einige Passeer diese Sperre beseitigt hatten, verübten Unbekannte zwei Anschläge mit Buttersäure auf Witteks Wohnhaus und den Lebensmittelladen. Obwohl „ziemlich geschockt“ lehnte der Bürgermeister jedoch das Ansinnen einiger Passeer, nun eine „Bürgerwehr“ aufzustellen, ab. Der Lübecker Nachrichten erzählte Wöhlcke: Bisher sei stets er das Opfer von Anschlägen gewesen. So hätten Unbekannte die Scheiben seines Ladens beschmiert und zehnmal die Sicherheitsschlösser mit Klebstoff unbrauchbar gemacht.

Im Sommer 1993 versperrte Wöhlcke erneut die Zufahrt zum Gemeindebüro – mit 4 Tonnen Kies. Wittek korrespondierte sechs Monate mit den Ämtern – „aber nichts passierte“. Schließlich ließ er den Haufen beiseite schieben. In der folgenden Nacht besprühten Unbekannte seinen Mazda und seinen ABM-Projektleiter-Dienstwagen. Regina Wittek war laut Ostsee-Zeitung „den Tränen nahe“. Ende 1994 stellte Wöhlcke das Wasser im Verwaltungsgebäude ab. „Wir haben sofort ein einstweiliges Verfügungsverfahren eingeleitet, aber passiert ist nichts“, so Adolf Wittek. Ähnlich sah es mit dem ehemaligen Laden seiner Frau aus: Sie konnte sich dort zwar vor dem Oberlandesgericht Rostock wieder reinklagen, aber der Laden steht bis heute leer. Den Prozeß wegen des Garagenabrisses gewann Wöhlcke zunächst. Dieser Rechtsstreit betraf auch die LPG als Bauherrin des Wohnhauses, bzw. ihre Rechtsnachfolgerin – die Öko-„LBG“: Landboden Glasin Treuhand GmbH & Co KG. Wöhlckes Rechtsanwalt Eckhard Tribess hatte dazu beim Landgericht Wismar im Genossenschaftsregister entdeckt, daß die dortige Lübecker Leihbeamtin wegen einiger Unklarheiten die von den ursprünglich 400 Genossenschaftlern übriggebliebenen 125 LBG-Kommanditisten noch nicht eingetragen hatte. Vor Gericht trug Tribess sodann vor, alle – außer 19 von ihm vertretene Personen – hätten das LPG-Abfindungsangebot angenommen und seien damit nicht mehr Mitglieder. Die Rechtspflegerin ermächtigte ihn daraufhin, eine neue LPG-Vollversammlung einzuberufen, auf der dann 12 der 19 Personen erschienen. Sie setzten den Geschäftsführer der 100 Mitarbeiter beschäftigenden LBG ab und wählten für die „LPG in Liquidation“ einen neuen Geschäftsführer: Wöhlcke!

„Damit brach das Unglück über die LPG rein“, so Tribess' Gegenspieler, der Berliner Anwalt Rainer Prinz. Bereits am nächsten Tag brachte Wöhlcke die neuen Beschlüsse zur Eintragung ins Register, während Tribess in seinem Namen die Geschäftsunterlagen bei der Bank einforderte. Als Wöhlcke auf „seinem“ LPG-Betriebsgelände Passee auftauchte, verwehrten ihm der dortige Bereichsleiter und sein Kollege den Zutritt. „Sie sind entlassen“, verkündete Wöhlcke ihnen, und als die beiden ihn vom Hof drängten, fuhr er mit dem Auto auf sie los. Das diesbezügliche Gerichtsverfahren wegen Körperverletzung stellte der Richter ein, Wöhlcke zahlte je 500 DM Schmerzensgeld.

Das Dorf Passee, für die SPD ein Musterfall

Die Passeer waren empört und sammelten Unterschriften gegen das Urteil. Zu oft waren die Gerichte bisher gegen sie gewesen, auch die Gerichtsvollzieher und Polizisten hatten zumeist eher dem westdeutschen Makler zugearbeitet, fanden sie. Um dem bedrängten Dorf wenigstens moralisch beizustehen, erklärte der Kreistag den Makler aus Bad Schwartau zur „unerwünschten Person“ im Kreis Wismar. Mehr als 30 Räumungs- aufforderungen und Abrißankündigungen hatten Wöhlcke/Tribess bis dahin nach Passee geschickt. „Allein als Folge der LPG-Versammlung sind über 10 Verfahren anhängig“, bilanzierte Rechtsanwalt Prinz. Ende 1995 gelang es ihm jedoch vor dem Oberlandesgericht Rostock, die Umwandlung der LPG in die Landboden Glasin Treuhand GmbH & Co Landwirtschafts KG für rechtmäßig erklärt zu bekommen. Tribess legte dagegen „Verfassungsbeschwerde“ ein. Auf Betreiben der Ost-SPD, die mit Passee als „Musterfall“ argumentierte, war es unterdes im Bundestag zu einem „Moratorium“ gekommen, mit dem bis zum Inkrafttreten des 3. Sachenrechts-Bereinigungsgesetzes die Rechtsverhältnisse an Grundstücken und Gebäuden bis Ende 1998 zwischengeregelt wurden. Wöhlcke hatte den Bürgermeister inzwischen wegen „unrechtmäßiger Nutzung“ der Amtsräume auf 18.000 Mark Schadenersatz verklagt und sogar eine einstweilige Verfügung erwirkt, mit der Wittek das Betreten seines Büros verboten wurde. Wochenlang erledigte der daraufhin seine Arbeit auf der Straße, und seine Schreibkraft reichte ihm die Akten aus dem Fenster. Das Landgericht Schwerin erlaubte ihm schließlich – „mit dem Moratorium im Rücken“ – die kostenlose Nutzung seiner Amtsräume wieder. Wöhlcke drohte mit dem Bundesverfassungsgericht: „Die kostenlose Nutzung kommt einer entschädigungslosen Enteignung gleich.“

Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Kreistag Wismar nannte Wöhlcke einen „Vereinigungskriminellen“. Mindestens einmal im Monat berichtete das Rostocker TV-Studio des NDR über den „Krieg in Passee“, dessen Reporter Michael Schmidt 1995 sogar ein ganzes Buch (im Weymann Bauer Verlag Leipzig) unter diesem Titel veröffentlichte. Um das maklerfreundliche Wirken der mecklenburgischen Justiz und ihrer Organe zu kompensieren, bedachten die anderen Behörden das Dorf mit großzügiger Aufmerksamkeit: So gelang es Wittek zum Beispiel mühelos, 15 ABM-Stellen zur Dorfverschönerung bewilligt zu bekommen. Mit den Plänen für den Haustierrasse-Schutzpark ging es dann „ABM-mäßig“ weiter. Allerdings auch mit dem Bad-Schwartauer Makler, der kurz vor dem Eröffnungsfest erneut das Wasser in den Gemeinderäumen abstellte und den Bürgermeister wegen wilder Entsorgung von Bauschutt aus dem Schutzpark anzeigte. Über 100 Verfahren sind vor den Gerichten wegen Passee anhängig.

Wöhlcke war neben Passee auch noch in Frankenberg bei Chemnitz aktiv geworden: Zusammen mit seinem Anwalt Tribess gelang es ihm dort, die Hallen der Holzhaus-Baufirma von Klaus Eckelmann in seinen Besitz zu bekommen. Eckelmann ging unterdes in Konkurs. Jetzt versucht er zusammen mit dem Berliner Rechtsanwalt Prinz „zu retten, was noch zu retten ist“. Die Frankenberg-Geschichte ist noch komplizierter als die Passeer, sie soll an anderer Stelle erzählt werden.