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Ein Engländer hat es nicht leicht Von Ralf Sotscheck

Alle sind gemein zu den Engländern. Besonders die Hollywood- Filmindustrie. Der Journalist Harry Thompson hat die US-amerikanischen Zelluloid-Gehässigkeiten im Guardian akribisch aufgelistet. Bei dem scheinbar unverdächtigen Katastrophenfilm „Titanic“ geht es schon los: Als Hauptdarsteller Leonardo DiCaprio, ein waschechter Ami, der über das weite Meer blickt, spielt im Hintergrund irische Fiddlemusik, wundert sich Thompson. Die englische Schiffsbesatzung bestehe dagegen aus „häßlichen, klotzköpfigen Feiglingen, die fest entschlossen sind, die Passagiere der dritten Klasse, zufällig alles Iren, zu ersäufen“. Das haben sie ja dann auch geschafft. Thompson hatte das Pech, den Streifen in einem amerikanischen Kino zu sehen. Das Publikum habe lauthals losgejubelt, entrüstet sich der patriotische Journalist, als „ein hübscher Ire seine Faust auf die Schnauze eines schweinsköpfigen englischen Matrosen“ haute. Die Yankees können ja so fies sein. Aber nicht nur arme irische Wasserleichen kommen in Hollywood gut an, sondern auch die Leute von der IRA, und das ist wirklich unerhört. Zum Beispiel in „Michael Collins“, den Thompson für den schlechtesten Film aller Zeiten hält. Warum? Weil Hauptdarsteller Liam Neeson, ein Ire, mit Julia Roberts schmust, während sein englischer Gegenspieler, der krummnasige Charles Dance, von unten ausgeleuchtet wird, so daß er aussieht wie Bela Lugosi. Und in „The Jackal“ schafft es die bestausgebildete Marineeinheit der Erde nicht, einen Superbösewicht zur Strecke zu bringen. Das gelingt dafür Richard Gere, einem IRA-Mann mit goldenem Herzen, ärgert sich Thompson. Schändlicher sei aber noch die Sache mit James Bond. Der erzenglische Weltretter mit tadellosen Manieren wird ausgerechnet von Pierce Brosnan gespielt – einem Iren. Habe man keinen geeigneten Engländer gefunden, fragt Thompson verzweifelt. Er hat wohl vergessen, daß auch der Ur- Bond Sean Connery nicht aus dem Mutterland der Tugend kam. Er ist Schotte und darüber hinaus Mitglied der Separatistenpartei SNP. Ach, Harry, hätte man doch damals statt dessen Mr. Bean genommen oder Blobby, die englische Kulturikone aus rosarotem Latex.

Merkwürdig nur, daß Thompsons Landsfrau Dr. Mary Hickman von der University of North London in englischen Filmen einen Rassismus in ganz umgekehrter Richtung ausgemacht hat. Das habe historische Wurzeln, schreibt sie in ihrer Studie „Religion, Class and Identity“. Die Engländer haben seit dem 12. Jahrhundert ihre Schandtaten in Irland stets rassistisch gerechtfertigt. Zuerst stellten sie die Iren als rauflustige Schmutzfinken mit affenartiger Physiognomie dar, heute schreibt man ihnen Faulheit, Trunksucht, Dummheit und Barbarei zu. Auch Shakespeare hat gern hin und wieder einen irischen Halbwilden in seine Stücke eingebaut. „Damit wollte man zeigen, daß die Iren von der englischen Herrschaft nur profitieren können“, schreibt Hickman. Könnten die Teilnehmer bei den nordirischen Friedensverhandlungen von einer Shakespeare-Aufführung profitieren?

Schade jedenfalls, daß Thompson die Hickman-Studie nicht kennt. Er arbeitet zur Zeit an einer Neufassung von „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ – mit Tony Blair als Jekyll und Gerry Adams als Hyde.

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