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Archiv-Artikel

EU: DIE ATOMLOBBY NUTZT DIE GUNST DER STUNDE Grünes Licht für Risiko-Technologien

Als Speerspitze der Antiatombewegung ist die EU-Kommission noch nie hervorgetreten. Die zuständige Kommissarin Loyola de Palacio gilt sogar als ausgesprochener Kernkraftfan. Ihr Regelwerk über nukleare Sicherheit und Umgang mit radioaktivem Müll sollte vor allem die Kandidatenländer besänftigen. Sie hatten zu Recht moniert, dass ihnen fürs Eintrittsticket in die EU mehr Atomsicherheit abverlangt wird, als bei den alten Mitgliedsländern vorgeschrieben ist. Deshalb wollte die Kommission einheitliche Mindeststandards einführen. Doch den ohnehin schwachen Entwurf haben die Mitgliedstaaten nun noch mal weichgespült. Von Standards und EU-Kontrollen ist nicht mehr die Rede – stattdessen soll jeder Betreiber selbst für die Sicherheit seiner Anlagen sorgen. Auch die von der deutschen Atomindustrie heftig bekämpfte Idee, unabhängige Fonds für die Entsorgung der Kraftwerke zu bilden, ist vom Tisch.

Industriepolitik, die sich weniger um Umweltfolgen als um Wettbewerbsnachteile schert, liegt in der EU im Trend. Erst am Wochenende hatten die Staatschefs einen entsprechenden Passus in ihre Abschlusserklärung aufgenommen. Darin sagen sie ganz unverbrämt, dass EU-Gesetzgebung europäische Unternehmen nicht in ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf dem internationalen Markt einschränken darf. Wenn sich dieser Maßstab durchsetzt, dann bedeutet das grünes Licht für Risikotechnologien und rotes Licht für Umwelt- und Verbraucherschutz. Die EU-Kommission zeigt bereits, dass sie die Zeichen der Zeit verstanden hat. Sie hat ihre ambitionierte Chemie-Richtlinie so abgeändert, dass weniger Kosten für die Industrie entstehen. Auch die Grenzwerte der Pestizidbelastung im Grundwasser sollen gesenkt werden.

In den vergangenen Jahren hat die EU-Kommission den Auftrag ernst genommen, Wirtschaftsentwicklung, Verbraucherschutz und Umweltbelange gegeneinander abzuwägen. Bei steigender Arbeitslosigkeit und weiterhin schlechten Wirtschaftsprognosen rückt sie von dieser Balance ab. Das merkt auch die Atomlobby und nutzt die Gunst der Stunde. DANIELA WEINGÄRTNER