ES IST HERBST : Zum Heulen
Es ist ja so was von Herbst, dass man nur noch weinen möchte. Oder heiße Schokolade trinken mit dem Rücken an der Heizung und Harry-Potter-Filme gucken. Aber nur Teil eins bis drei, danach wird es so deprimierend, dann muss ich wieder weinen. Das Problem ist auch, dass man nicht unbegrenzt hintereinander dieselben Filme gucken kann, wenn man ein halbwegs funktionierendes Kurzzeitgedächtnis hat. Auch das ist ein Grund zum Weinen. „Lies doch mal ein Buch“, sagt mein Freund, „Stephen King zum Beispiel.“ „Genau“, sage ich, „weil das so heitere Lektüre ist. Da kann ich mir ja gleich die Pulsadern aufschneiden.“ „Nein, da kannst du nachlesen, wie sich andere die Pulsadern aufschneiden. Mir hilft das immer sehr, wenn’s mir nicht gut geht … Oder du gehst mal vor die Tür“, fügt er hinzu. „Bist du wahnsinnig!“, rufe ich, „da sind überall Menschen!“ „Ja, eben“, sagt er, „triff dich doch mal wieder mit deinen Freundinnen, Franzi und Sissi und Effi und Steffi, und wie sie alle heißen.“ Langsam kommen mir die Tränen. „Warum heulst du denn jetzt?“, fragt er. „Na, weil ich keine Freunde mehr habe“, heule ich. „Das stimmt doch nicht“, sagt er. „Doch“, heule ich, „und mir fällt auch nichts mehr ein, weil ich so traurig bin, dass ich keine lustigen Geschichten mehr schreiben kann!“ „Dann schreib doch mal eine traurige Geschichte. Es ist schließlich Herbst, da sind viele Menschen traurig.“ „Mir fallen aber auch keine traurigen Geschichten mehr ein“, schluchze ich, „mir fällt überhaupt nichts mehr ein. Ich möchte nur noch heiße Schokolade trinken mit dem Rücken an der Heizung und Harry-Potter-Filme gucken.“ „Dann mach das doch“, sagt er.
Ich wühle mein Gesicht in seine Schulter und rotze ihm das Hemd voll. „Aber ich kenne die Filme ja alle schon auswendig!“, jammere ich. Er tätschelt meinen Kopf. „Ja, das verstehe ich“, sagt er, „das ist wirklich zum Verzweifeln!“ LEA STREISAND