ES GIBT MENSCHEN, DIE IHRE STADT NICHT AUSREICHEND GEWÜRDIGT SEHEN : Alte Hamburger
ROGER REPPLINGER
Wenn es etwas gibt, in dieser Stadt, vor dem wir uns in Acht nehmen müssen, dann sind es „alte Hamburger“. Sätze, in denen die Worte: „Ich, als alter Hamburger, sage Ihnen!“, vorkommen, sind Zurechtweisungen. Dann wird einem erklärt, wo man auf dem Trottoir zu gehen hat, dass Regen ein Segen ist, dass man nicht mit dem Rad gegen die Fahrtrichtung fährt, und was man hier sonst so macht und vor allem: was nicht. Und es wird erklärt, wie man spricht: Dass es „feudeln“, „Peterwagen“ und „Rundstück“ heißt, und nicht Semmel oder Brötchen. Und wer jetzt denkt: „Der Dösbaddel weiß nicht, dass ein Rundstück keine Semmel ist“, der ist ein „alter Hamburger“.
Der „alte Hamburger“, der auch weiblichen Geschlechts sein kann und mitnichten alt sein muss, guckt scheel, wenn jemand beim Schlachter kein korrektes Hamburgisch spricht. Der „alte Hamburger“ hat ein feines Gehör für west, ost und süddeutsche Sprachmelodien. Er sagt dann: „Sie sind auch noch nicht lange hier.“ Das „auch“ bezieht sich nicht auf den „alten Hamburger“, der schon zu lange hier ist, sondern auf die vielen anderen, die „auch“ nicht hierher gehören. „Noch nicht lange“ heißt: Lange genug, um wieder zu verschwinden, denn es gibt kein lange genug, um „alter Hamburger“ zu werden.
Keinen Dunst
Der „alte Hamburger“ ist im Grunde melanklöterig, weil er sich und seine Stadt von der Welt nicht ausreichend gewürdigt sieht, und zu viele „Auchs“ – Hessen, Rheinländer, Berliner, Türken, Schwaben, Italiener, Sachsen, Griechen, Thüringer, Bayern, Spanier, Niedersachsen, Friesen, Afrikaner, Berliner, vielleicht die schlimmsten – auf der falschen Trottoirseite durch Straßen laufen, von deren Geschichte sie keinen Dunst haben.
Der „alte Hamburger“ versucht seine Stadt gegen diese „Auchs“ zu verteidigen und das, von dem er denkt, dass es sie ausmacht. Klinker zum Beispiel. Dass die Fremden nicht wissen, dass sie Quiddjes sind, hilft ihnen nicht, denn die „alten Hamburger“ lassen es sie spüren.
Der „alte Hamburger“ kennt die Geschichte Hamburgs, zwischen 1933 und 1945 klafft ein Loch. Er würde was drum geben, beim Matthiae-Mahl dabei zu sein, hält Helmut Schmidt für einen großen Mann, sitzt manchmal an den Landungsbrücken, guckt aufs Wasser und wird mucksch. Er isst gern Stint, freitags stinkt das Haus nach Fisch. Für alles, was mit Hamburg zu tun hat, gilt: „Dascha gediegen.“ Für alles andere nicht. Hinter Harburg beginnt die Hölle. Er sagt „Schangs“, „Appartmang“ und „Etaasche“. Politisch und kulturell ist er nicht festgelegt.
Außen vor
Vom „Hanseatischen“, von dem keiner weiß, was es ist, kann man immerhin sagen, was es bewirkt: Die Hälfte der Stadt ist außen vor. Gut ist: Es macht dieser Hälfte wenig aus. Wir spotten ein bisschen, sind aber tolerant, auch mit „alten Hamburgern“, die nicht das Niveau der Stadt haben, an der sie hängen, weil zum Niveau die Hälfte, die nicht dazu gehört, ihren Teil beiträgt. Hamburg „alten Hamburgern“ zu überlassen, geht nicht an. Nu is aba daddeldu.