ERDOGANS TREUER KNAPPE SOLL NÄCHSTER STAATSCHEF DER TÜRKEI WERDEN : Sancho Pansa for President
Der türkische Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan hat sich entschieden, nicht selbst fürs höchste Amt im Staate zu kandidieren: Er lässt seinem Parteifreund Abdullah Gül den Vortritt. Er hat sich zu der Einsicht durchgerungen, dass es für die Zukunft seiner AKP wenig dienlich ist, wenn er selbst Präsident wird. Nun schiebt er den Mann vor, dem er am meisten vertraut und den er für am besten geeignet hält, die Vorbehalte gegen einen Präsidenten aus dem islamischen Lager abzuschwächen.
Erdogan hat sich damit als geschickter Taktierer erwiesen – klug genug, seine eigene Eitelkeit hinter das politische Interesse an Machterhalt und Machtausbau zurückzustellen. Der von der Opposition und dem säkularen Teil der türkischen Gesellschaft erhoffte Kompromisskandidat ist Gül allerdings nicht. Als Außenminister hat er zwar eine gute Figur gemacht, ist er doch jemand, der eher vermittelt als polarisiert. Zugleich gilt er als treuester Gefolgsmann seines Chefs, hielt er ihm doch sogar den Sessel des Ministerpräsidenten warm, solange Erdogan das Amt aus politischen Gründen zunächst nicht antreten konnte. Auch diesmal wird er deshalb wieder vor allem als Erdogans Erfüllungsgehilfe angesehen werden.
Güls Wahl durch die AKP-Parlamentsmehrheit im Mai dürfte jetzt nur noch eine Formsache sein. Mit seiner Nominierung ist aber auch der Startschuss für die Parlamentswahlen im November gefallen. Das säkulare Lager wird nun alles daran setzen müssen, die absolute Mehrheit der AKP zu brechen, um Erdogan und Gül zumindestens einen Koalitionspartner – wenn nicht gar eine ganz andere Regierung – entgegenzustellen.
Die beiden bürgerlich-konservativen Parteien sprechen bereits über eine Fusion, um ihre Schlagkraft zu erhöhen. Ein Bündnis der beiden linkskemalistischen Parteien ist dagegen am Narzissmus und der politischen Dummheit des Oppositionsführers Deniz Baykal gescheitert. Der Türkei steht ein harter Wahlkampf bevor. Die Spannungen könnten sich auch in den kommenden Monaten wieder in politischen Gewalttaten entladen.
JÜRGEN GOTTSCHLICH