EMPATHIE NUR FÜR HUNDE : Probleme
Beim Joggen höre ich in meinem Rücken schnelle Schritte. Kurz darauf springt ein mittelgroßer Mischlingshund um mich herum. Reflexartig werfe ich die Ärmchen in die Luft und gebe einen lauten Schreckenslaut von mir.
„Hast du Probleme?“, fragt die nun auftauchende Besitzerin.
„Nee, aber du vielleicht.“ Das ist das Äußerste, zu dem ich mich hinreißen lasse, und das ist schon zu viel, denn es löst eine Flut von wortähnlichen Blähungen bei ihr aus.
Ich sehe den Punkt nicht ganz: Ich habe sie nicht beleidigt. Ich habe ihren Hund nicht beleidigt. Ich habe sie nicht aufgefordert, ihren Hund anzuleinen. Ich habe mich einfach nur erschreckt.
Und das sage ich ihr auch und bleibe eigens dafür sogar stehen: Sie möge sich mal vorstellen, sie wäre im Alter von drei Jahren von einem großen Hund in den Kopf gebissen worden. Das habe mich womöglich geprägt und deshalb sei ich erschrocken. Ganz ruhig sage ich das.
Ein untauglicher Versuch, in einem toten Teich nach Empathie oder gar Erkenntnis zu angeln. Denn es geht um sie. Und um sie. Und um sie und um ihren Hund. Der hat sie noch nie enttäuscht. Der ist treu und liebt sie ehrlich. Er ist auch viel intelligenter als ein Mensch. Die Menschen sind verlogen und dumm. Und ganz besonders ich. Ich müsse doch wissen, dass sie ihren Hund nicht frei laufen ließe, wenn es damit Probleme gebe. Sagt die Frau.
Klar, weiß ich das. Schließlich kenne ich die beiden schon seit Jahren, und überhaupt sei es ja das erste Mal, dass ein Hund einen Jogger anfiele. „Sonst würde ich ihn ja nicht frei herumlaufen lassen“ – Das haben meine Großeltern auch gesagt, bevor ich mitten ins Gesicht gebissen wurde. Die Narben um meinen Mund herum sieht man heute noch.
Sie blökt mir noch Unverständliches hinterher. Das letzte Wort ist ihr heilig. Soll sie es haben. Arme Sau. ULI HANNEMANN