EINE LIEBESERKLÄRUNG : Stiller Genuss
Es gibt ja die eiserne Regel im Journalismus, dass es Distanz zum Beschriebenen braucht. Zu gemütlich sollte man es sich nicht machen, dort, von wo es gilt zu reportieren. Weil, sonst geht die unabhängige Berichterstattung den Bach runter. An dieser Stelle sei eine Ausnahme vom ehernen Gesetz erlaubt, weil, ich bin verliebt. Mein Herz brennt für die Bäckerei Kasper in der Kreuzberger Graefestraße, kurz vor der Urbanstraße, kurz bevor der „schlechte“ Teil der Graefestraße beginnt, was ungerecht ist, weil am Ende befindet sich die Hasenheide und deren verkehrsumtoster Minigolfplatz.
Doch zurück zu Kasper. „Wir backen selbst“. Diesem Lockspruch ist eigentlich nicht zu trauen, weil Selbstbacken meist nur heißt, dass das Gebäck nicht per Computer programmiert und im 3-D-Drucker ausgedruckt wird, sondern dass fettige Kringel mit halbgaren Inhaltsstoffen auf der grünen Wiese in einem Zweckbau verfertigt werden.
Bei der Bäckerei Kasper dagegen kommt Herr Kasper in einem sonnengelben Sweatshirt mit Kasperleaufdruck aus der angeschlossenen Backstube. Was nun nicht heißt, dass Herr Kasper besonders gut gelaunt wäre, nein, Herr Kasper schaut sogar eher streng.
Denn Herr Kasper gebietet über Berliner Knüppel, lockere Milchbrötchen mit viel Butter im Teig, er herrscht über Kommissbrot, jenes Sauerteigbrot, von dem die meisten leider nicht mehr wissen, dass es existiert, er ist der Maestro von Walnussschnecken mit Ahornsirup, die einem im stillen Genuss orgiastische Gefühle entlocken, und er verantwortet nach echtem Rum schmeckende Rumkugeln, bei denen sich weltweit Konditoren eine Scheibe zum Probieren abschneiden sollten. Das kann Herr Kasper und noch vieles mehr. Und das Allerbeste an seiner Bäckerei ist: Ich werde mich garantiert nicht entlieben, außer der Laden macht dicht. HARRIET WOLFF