EIN NEUES CAMP : Vorsicht, Kamera
Als ich früh am Morgen das Haus verlasse, finde ich vor meiner Tür ein über Nacht errichtetes Flüchtlingscamp vor, ein Zeltlager, bestehend aus mindestens sieben Zelten. Ich denke, ich sollte am besten nicht mehr schlafen, weil ich sonst einfach zu viel verpasse wie eben die Errichtung eines Flüchtlingscamps vor der eigenen Tür. Ich sehe aber keine Flüchtlinge. Vielleicht kommen die ja noch, und die Zelte sind schon mal aufgebaut worden, damit sie auch gleich einziehen können.
Ich will nicht übertreiben, aber ich bin schon etwas überrascht über diese Entwicklung und bin sehr gespannt, wie die antirassistisch eingestellten Gentrifizierten hier im Viertel das finden werden.
Überraschter dürfte da nur Slawomir Mrozek gewesen sein, der schrieb, dass er eines Tages vor seiner Tür eine Barrikade vorfand, die über Nacht errichtet worden war, und dachte, man sollte am besten gar nicht schlafen, weil man dann genau so was verpasst wie den Bau einer Barrikade vor der eigenen Tür. Aber Mrozek hat sich das nur ausgedacht. Im Unterschied zu mir.
Als ich mich später dem Camp wieder nähere, um Post in den Briefkasten zu werfen, sehe ich einen Flüchtling wegrennen. Aber ich sehe keinen, der ihm hinterrennt. Kurz vor dem Briefkasten sagt jemand: „Achtung, da will jemand zum Briefkasten.“ Da sehe ich auch schon Kamera und Filmleute. Ein Film also. Die Zelte sind nur Kulisse. Ich betrete die Szenerie, aber die Kameras sind schon aus. Schade.
Danach gehe ich in den Zeitungsladen, um mir ganz altmodisch eine Zeitung zu kaufen – die FAZ, falls es jemand interessieren sollte. Der türkische Zeitungsmann sagt: „Warum drehn die ihren Film nicht auf dem Oranienplatz? Hey, da gibts ’ne echte Kulisse. Geben den Flüchtlingen ein bisschen Geld. Haben die auch was davon.“ Stimmt, denke ich, das wäre eine gute Tat gewesen. KLAUS BITTERMANN