EIN GEBURTSTAGSPARTYMARATHON, DER DEN AUTOR INS OLYMPIASTADION, INS TIEFSTE NEUKÖLLN UND SCHLIESSLICH IN CLUBRESTAURANTS MIT MUSIK AUF Q-DORF-NIVEAU FÜHRT : Mach dich selber zum Affen, dein Gegenüber hat es nicht anders verdient
VON JURI STERNBURG
Eigentlich sollte ich zu diesem Zeitpunkt ganz woanders sein. So zumindest war es gedacht. Meinem zunehmendem Alter entsprechend hatte ich geplant, auf einem elegant anmutenden beigefarbenen Sessel zu sitzen, Weißwein zu trinken, mir von der adrett gekleideten Bedienung ab und zu ein paar Häppchen reichen zu lassen und der Crème de la Crème der deutschen Schlagerszene dabei zuzusehen, wie sie ihre Lippen enthusiastisch zum Playback bewegt, während grinsende Backgroundtänzerinnen Pirouetten drehen, bis sie sich in den Boden eingearbeitet haben.
Nun habe ich zwar keine Affinität für Schlagermusik von Helene Fischer, Jürgen Drews & Co. – in wilderen Jahren habe ich mir auch mal geschworen, nie einen Fuß in die O2-World zu setzen, schon gar nicht in eine VIP-Lounge. Aber man wird eben älter. Und meinen Geburtstag auf diese unübliche Weise mit Fischer & Drews zu verbringen erschien mir angemessen.
Glückwunsch vor 47.000 Zuschauern
So weit der Plan. In der Realität stehen wir vor der Tür des Clubrestaurants The Grand und haben einen 26-stündigen Partymarathon hinter uns, die „Große Schlagernacht“ ist dabei auf der Strecke geblieben – eventuell zwischen dem Konzert der Rap-Formation Zugezogen Maskulin (welcher es gelingt, politischen Rap hörbar zu gestalten) am Freitagabend und dem Besuch des Olympiastadions am Samstagnachmittag, der mit einer Niederlage für den Heimverein Hertha BSC endete und für kurzzeitige Depressionen sorgte. Der Einfall meiner Freunde, mir vor 47.000 Zuschauern mit einer ziemlich ausgefeilten Glückwunschrede per Stadionsprecher gratulieren zu lassen, erklärte wenigstens, warum die anderen bereits 30 Minuten vor Anpfiff im Stadion sein wollten.
Nach einigen Umwegen, die uns unter anderem in eine Altberliner Eckkneipe im tiefsten Neukölln führten, stehen wir also vor dem Nobelschuppen The Grand in Mitte, wo eine Party ist. Wir versuchen, einen seriösen Eindruck zu machen.
Während Heike Makatsch an uns vorbei aus dem Laden ins Taxi rauscht, ist die Türsteherin sichtlich überfordert von unserem Anblick: Übernächtigt, in Jogginghose, Turnschuhen und Basecaps stehen wir da. Wir weisen sie auf unsere Gästelistenplätze hin. „Die sind aber unter Vorbehalt“, mokiert sie und telefoniert mit jemandem, der anscheinend was zu sagen hat. Dann geht die Tür wieder auf: „Aber ihr benehmt euch, oder?“ Klar, wir gehen ja auch zu Helene-Fischer-Konzerten, zumindest theoretisch. Im The Grand halten wir es genau eine Stunde aus, auch wenn wir unseren optischen Exotenstatus genießen, irgendwann wird auch gezielte Provokation langweilig. Vor allem, wenn ein kleines Bier 4,50 Euro kostet und die Musik sich auf Q-Dorf-Niveau bewegt.
Also geht es weiter in den nächsten Club, mal schauen, irgendwas finden wir schon. Als wir mit dem Taxi an der O2-World vorbeifahren, strömen gerade die Massen raus.
Bei näherer Betrachtung bin ich ganz froh, diesen Termin nicht wahrgenommen zu haben. Das Publikum frönt anscheinend dem Motto „Mach dich selber zum Affen, dein Gegenüber hat es nicht anders verdient“. In zehn Jahren werde ich den nächsten Versuch unternehmen, meinen Geburtstag auf Altherrenart zu verbringen. Vorerst ist das nächste Ziel anvisiert: Silvester würde ich gern gemütlich verbringen. Mit Kochen und so. Mal schauen.