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Archiv-Artikel

EIN FLÜCHTLINGSHEIM IN DER KLEINSTADT BRINGT DIE WUTBÜRGER AUF. FÜR KORREKTES PÖBELN SOLLTEN DIE ABER ERST MAL DEUTSCH LERNEN „bei netto tadschn die alls an“

ANJA MAIER

In dem waldrandnah gelegenen Flüchtlingsheim meiner kleinen Kleinstadt ist es weitgehend ruhig. Menschen passieren das Eingangstor und verschwinden in den dahinter gelegenen ehemaligen Soldatenunterkünften. Ab und zu sieht man einige auf dem S-Bahn-Steig, vermutlich fahren unsere neuen Mitbürger zum Amt/zum Einkaufen/zum Wasweißich.

Natürlich gibt es auch Beobachter, die das missbilligen. Wo kommen wir hin, fragen die sich, wenn Flüchtlinge einfach so von A nach B fahren? Müssten die sich nicht permanent für ihre Abschiebung zur Verfügung halten? Und warum, bitte sehr, sprechen die in moderne Mobiltelefone? Täte es nicht auch ein Nokia 3210? Und woher haben diese Leute witterungsgerechte Kleidung? Und was soll das dämliche Gelächter, das da zu hören ist – sind diese Asylanten nicht angeblich traumatisiert?

Sie denken, ich denke mir das aus? Also dass Leute im Jahr 2015 in dieser Weise über Leute denken und reden, die es auf Seelenverkäufern übers Mittelmeer bis in unser – bei genauerem Hinsehen alles andere als aufregendes – mitteleuropäisches Kaff geschafft haben? Leider nein.

Als Mitglied der örtlichen Willkommensinitiative bin ich quasi dazu verdonnert, mir deren Scheiß auf Facebook reinzuziehen. Gegnerbeobachtung nennt man derlei in der Politik. Und tatsächlich, die Fremdenfeinde verkneifen sich nix, wenn sie sich über die Flüchtlinge austauschen. Wobei, austauschen würde ich das nicht direkt nennen. Eher auskotzen. Auf Dialog verzichtet man hier ebenso gern wie auf korrektes Schriftdeutsch. „Ab nach Lampukistan mit die!“, postet ein Mitbürger, ein anderer schreibt, er könnte „heuln wenn i d mit ihre handys seh. woher ham die die kohle?“, „bei netto tadschn die alls an.“ Auch die Frage, ob „denn keiner an die Kinder“ denkt, fehlt nicht. Keine Frage, hier handelt es sich um jene Leute, denen Vizekanzler Gabriel aber mal so richtig ausführlich zuhören möchte.

Kann er machen. Dann aber bitte auch den ganzen Scheiß zu 9/11, bin Ladens Tod, dem Absturz von MH17 lesen. Außerdem das „13 Stufen“-Gequatsche, das jungen Männern empfiehlt, sich keinesfalls „dem System“ zu beugen, stattdessen auf Geist und Körper zu achten, dem Rudel fernzubleiben und niemandem zu dienen.

DIE FÜNFTAGEVORSCHAU | KOLUMNE@TAZ.DE

DonnerstagRené Hamann Unter Schmerzen

FreitagJürn Kruse Fernsehen

MontagBarbara Dribbusch Später

DienstagDeniz Yücel Besser

MittwochMartin ReichertErwachsen

Schade eigentlich, dass diese Selbstoptimierungsanleitung für Zukurzgekommene nicht in einfacher Sprache abgefasst ist. So wie dieser Düstertext aufgebaut ist, bezweifle ich, dass die Netzjungs das kapieren. Aber vielleicht kann Sigmar Gabriel ihnen das mal auseinandersetzen, er taucht ja gerne als Privatmann bei Privatleuten auf, die ganz privat ihre Meinung sagen.

Oder wir hier vor Ort verbinden das Unangenehme mit dem Nützlichen. Denn selbstredend gibt es für die Flüchtlinge nun einen Deutschkurs. Organisiert wird der von Freiwilligen. Die Kreisverwaltung hat das leiiiiider noch nicht geschafft. Möglicherweise würde es sie ja beflügeln, wenn sie mit den Flüchtlingen gleich ein paar Mitbürger in Deutsch unterweisen ließe. „Korrektes Pöbeln – so klappt’s auch mit dem Fremdenhass“ wäre doch ein schöner Titel für dieses Projekt.