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Archiv-Artikel

EIN ABWECHSLUNGSREICHES WOCHENENDE Sexy Käsebrot mit zwei Gläsern Champagner

Ausgehen und rumstehen

VON JENNI ZYLKA

Autos muss man ab und an ausfahren, weil sonst das Motoröl verschlammt. Tonträger muss man ab und an laut hören, weil sonst die Gehörknöchelchen verrosten. Und lange Kleider muss man ab und an anziehen, weil die adaptiven, atmungsaktiven und wasserabweisenden Funktionsklamotten, mit denen man normalerweise die Berge des Lebens besteigt, einen sonst unglücklich machen.

Also am Freitag zum Filmpreis, in bodenlang, genau wie die anderen, die echten Grazien. Nach der Gala steppt der Bär vor allem an der Champagnerbar, GewinnerInnen und das, was Michael Schanze in „1, 2 oder 3“ immer „zweiter Sieger“ und „dritter Sieger“ genannt hat, geben volle Gläser weiter, bis alle sich umarmen und beglückwünschen, wenn auch teilweise nur dazu, endlich die Bar gefunden zu haben. Ein freudiger, strahlender Haufen, den man erst nach Stunden unwillig hinter sich lässt, weil plötzlich statt nur einem permanent zwei Gläser in der laienhaft manikürten Hand zu sehen sind. Dazu trägt man folgerichtig zwei Give-away-Tüten in die beiden Taxen, aber am nächsten Morgen ist die eine spurlos verschwunden, in der anderen warten neben weiteren freundlichen Sponsorengeschenken ein mit Nutella gefüllter und mit verschiedenen Schokoladenbrocken durchsetzter Brownie und eine Dose Red Bull – welch ein Siegerfrühstück! Was wohl in der zweiten Tüte gewesen wäre? Wahrscheinlich Knäckebrot und ein mickriger Apfel, so wie in der Alnatura-Give-away-Tüte, die es im Sommer zum Schulanfang gab.

Am Samstagnachmittag geht es auf den Flughafen Tempelhof, das wird langsam zur lieben Gewohnheit, denn das Überzeugende an der asphaltierten Riesenfläche ist, dass die dummen Insekten halbwegs wegbleiben. Stattdessen gibt es sogar ein paar schattenspendende Bäume, und so viel Wind, dass man zu ihr gehen und seinen Drachen steigen lassen kann.

Nur die Grillwut wird auch hier nicht im Zaum gehalten, und das vermaledeite Angrillen findet scheinbar jedes Jahr früher statt, wieso kann dit Rejierende dazu nicht mal ein Gesetz erlassen? Angrillen erst am 1. Juni? Oder auch am 1. September? Unverständlich, dass ein paar kleine, niedliche, von Öko-Indianern gerollte Sargnägelchen allerorten so einen Stress verursachen, aber jeder bereitwillig im beißenden Qualm unglücklich verstorbener Rindviecher und Schweine stehen bleiben möchte. Was ist gegen ein, wie Helge Schneider sagen würde, sexy Käsebrot einzuwenden? Wenn man es auch noch in Esspapier wickelt, hat man überhaupt keinen Müll mehr und kann seine Ökobilanz wieder an anderen Orten strapazieren. Am nächsten Abend ein bisschen Drei-Wetter-Taft versprühen oder Ähnliches, „gotta set my old tuxedo pressed, gotta sew a button on my vest, ’cause tonight I’ve gotta look my best“, oder wie es einst in der Sesamstraße übersetzt wurde: „denn am Abend will ich gut aussehen! Warum? Lulu ist wieder da!!“ Lulu ist am Sonntag zwar mitnichten zurück, aber das In-Edit-Musikfilmfestival macht seine Abschlussparty im HBC und hat als Topact – passend zum vorangegangenen Film über die schwarze TV-Musik-Show „Soul Train“ – das grundsympathische, Cuba-Libre-schluckende Mod-Kollektiv „Rhythm and Beat Organization“ eingeladen. Das es natürlich nonchalant schafft, sich über die lightshowlose Schulaula-Atmosphäre des Kinosaals hinwegzusetzen und solange zu grooven und Boby-Lapointe-Witze zu reißen, bis trotz Stuhlreihen alle tanzen.

Wobei eine der beiden Sängerinnen früh nach Hause muss, weil sie in ihrem ersten Leben Ärztin ist und am nächsten Morgen um 7 Uhr einen beeindruckenden OP-Termin hat, am offenen Herzen oder so. Aber von jemandem, der so singt, lässt man sich bestimmt gern aufschneiden.