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Archiv-Artikel

Doppeldeutiger „Waffenstillstand“ KOMMENTAR VON CHRISTIAN SEMLER

Nach allgemein geläufiger Auffassung bedeutet der Abschluss eines Waffenstillstandes zwischen militärischen Konfliktparteien eine Atempause. Er nimmt das politische Ergebnis des Konflikts nicht vorweg, kann allerdings den Weg zu Friedenslösungen erleichtern. In dieser Weise begreift die Öffentlichkeit in Europa auch die Forderung nach sofortigem Waffenstillstand zwischen der israelischen Armee und der libanesischen Hisbollah.

Diese Forderung wird dringlich erhoben, weil immer mehr Zivilisten zu Opfern von Bomben und Raketen werden. Auch ist vielen Menschen nicht einsichtig, wie der Bombenkrieg zur Freilassung der gekidnappten israelischen Soldaten führen soll. Im Gefolge des Waffenstillstands könnte ein Gefangenenaustausch ebenso ausgehandelt werden wie – mit Einverständnis der libanesischen Regierung – die künftige Stationierung einer internationalen Streitmacht im Süden.

Die israelische Regierung wie auch die USA und Großbritannien konzipieren einen Waffenstillstand hingegen völlig anders. Er soll erst dann ausgehandelt werden, wenn Israels Kriegsziele, also die Zerschlagung der Hisbollah-Milizen und die militärische Kontrolle über den Südlibanon, erreicht sind. Nach dieser Vorstellung besiegelt der Waffenstillstand die Kapitulation und macht spätere Verhandlungen überflüssig. Der Sieg über die Hisbollah wäre demnach das Unterpfand, das künftige Angriffe aus dem Libanon gegen Israel verhindert.

Die bisherigen Erfahrungen mit der „asymmetrischen Kriegsführung“ lassen es zweifelhaft erscheinen, ob die Israelis ihre Kriegsziele in Bezug auf die Hisbollah erreichen können – noch dazu innerhalb weniger Wochen. Erbeutete Waffen und eroberte Stützpunkte mögen den Anschein erwecken, als ob „der südlibanesische Boden Hisbollah-frei ist“, wie es der Kommentator von Springers Welt bereits in Anlehnung an den entsprechenden Sprachgebrauch des Großdeutschen Reiches formulierte. Gegenüber solchen Vernichtungsfantasien bleibt festzuhalten, dass nur eine faire Zweistaatenlösung zwischen Israelis und Palästinensern den Weg zu einem dauerhaften Frieden öffnen kann – auch zu einem Frieden mit der Hisbollah.