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Archiv-Artikel

Die Unparteiischen (7): Matthias Lilienthal, Intendant des HAU An der Kultur wird gespart. Warum nicht gleich alle Theater privatisieren?

Am 17. September wird gewählt. Die wirklichen Fragen hat die Politik ausgeklammert. Die taz stellt sie – und lässt Unparteiische antworten.

Manchmal ist man froh, dass Fragen schon im Vorfeld abgearbeitet werden. Die Privatisierung haben wir ja im Fall des Admiralspalastes vor Augen. Seine Eröffnungsproduktion, „Die Dreigroschenoper“, hat 2,5 Millionen Euro gekostet, bezahlt von der Deutschen Bank. Die Besetzung unterlag weniger künstlerischen Kriterien als vielmehr kommerziellen. Das Theater dürfte dann eher mit Mitteln der Wirtschaftsförderung finanziert sein. Diese Produktion ist sicher die teuerste der letzten zwölf Monate und sicher nicht die beste. Leider wird die Produktion auch nie das einspielen können, was sie gekostet hat. Aber sicher wird der Produzent an der finanzierten Produktion verdienen.

Der Soziologe Dirk Baecker hat in einem Essay zur Situation Berlins geschrieben, dass es in Berlin nur zwei gesellschaftlich relevante Gruppen gebe: 45.000 Wissenschaftler und 130.000 Studenten. Vergleicht man die wissenschaftlichen und kulturellen Aktivitäten Berlins mit den wirtschaftlichen, so bestätigt die Analyse das hier kursorisch gestreifte Kräfteverhältnis. Die vielen Studenten haben noch eine wunderbare Begleiteigenschaft: In der alten Hängerstadt Berlin haben sie Zeit zum Rumhängen. Der Seyfried’sche Comic ist jetzt Realität geworden und hat Freaks und arbeitslose New Economy in dem Latte-Macciato-Trinker vereint.

Wenn Kultur einen Sinn macht, ist sie so etwas wie ein soziales Labor, das neue Lösungsstrategien in völliger Asozialität durchspielt. In diesem Labor sind längst die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit, Arbeit und Nichtarbeit verschwunden. Längst gibt es eine Lebensgrundsubvention – und alles andere fügt sich jenseits konventioneller Limits und Definitionen zusammen.

Die internationale Boheme hängt hier im englischsprachigen Ghetto herum, arbeitet außerhalb und genießt das Leben bei billigen Mieten. Sie wirft immer wieder interessante Aktionen, Performances etc. ab und verbindet sich mit der wissenschaftlichen Szene der Stadt. Die Kommunikationsindustrie könnte das Ganze als einen Modellversuch der Trendscout-Industrie finanzieren.

Der Berliner Senat forderte dann die Uni-Institute zum Theaterspielen auf, und die Universitätskliniken machten Podcasting, während die HAU-Dramaturgen sich zur Hälfte als Nanotechnologen und Hirnforscher weiterbildeten.

London hat es mit seinem Investitionsprogramm in die Kulturindustrie schon vorgemacht. Die ersten 50 Millionen wären ein erster Schritt und natürlich eine sinnvolle Investition. Der wissenschaftlich-kulturelle Komplex wäre das, was der Berliner Senat dann mit zunehmenden Wachstumsraten förderte. Und am Ende riefe er die ganze Stadt zur Kreuzberger Republik aus. Und dann hinge allein noch der Berliner Admiralspalast am Tropf der Deutschen Bank und ihrer Subvention.

MATTHIAS LILIENTHAL

Morgen: Gehören Bürgerinitiativen nicht verboten? Es antwortet: Norbert Rheinlaender von der Bürgerinitiative Westtangente