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Archiv-Artikel

Die These In einer Gesellschaft ohne Zukunftsprojekte werden Fußballtrainer zur einzigen HoffnungSchöpfer im Drecksgeschäft

BUNDESLIGA Heynckes, Guardiola und Streich sind Vater, Sohn und Heiliger Geist der postsäkularen Fußballkirche

VON PETER UNFRIED

Die deutsche Gesellschaft, das unterscheidet sie von den dynamischen Gesellschaften, ist getrieben von dem Wunsch, dass alles bleibe, wie es ist. Und dem nostalgischen Seufzen, dass etwas doch wieder so werden könne, wie es mal war. Die SPD. Das Gymnasium. Das Fernsehen. Die Stromerzeugung. Überall Altbauten, die eingestürzt sind oder grade einstürzen, und bestenfalls Leute, die darüber streiten, ob man oben noch ein Stockwerk anbauen sollte oder besser nicht. Es wird schlimm enden, das scheint klar. Die Gesellschaft gewöhnt sich die Beschäftigung mit der Zukunft ab, weil sie sie individuell und kollektiv für nicht händelbar hält. Und schafft deshalb positive Leitbilder und Projektionsflächen ab. Das ist in dieser Situation kein emanzipativer Fortschritt, sondern nur Ausdruck der Desillusionierung.

Es ist eine Gesellschaft, die in der Politik keine Figuren mehr sucht, in die man wünschenswerte Veränderung projizieren könnte. Sondern nur noch Halt – was der Erfolg Merkels zeigt – und Sündenböcke – was die Treibjagden der letzten Zeit erklärt. Es ist eine Gesellschaft, die Künstler, die sich engagieren, nicht wertschätzt, sondern als Bedrohung des Status quo empfindet – so wie den Schauspieler Hannes Jaenicke, der sich gegen den Klimawandel engagiert und dafür zynisch abgewertet wird.

In dieser Situation wird der Fußballtrainer zur letzten Projektionsfläche. Zu Beginn der 51. Bundesligasaison an diesem Wochenende sind Josef „Jupp“ Heynckes, Josep „Pep“ Guardiola und Christian Streich Vater, Sohn und Heiliger Geist einer postsäkularen Fußballkirche, der inzwischen erhebliche Teile der Gesellschaft angehören.

Wem das zu dick ist: Grundlage der Entwicklung ist das Bedürfnis nach integren Figuren in einem Fußball, der analog zu Politik und Wirtschaft auch immer mehr zu einem Drecksgeschäft zu verkommen scheint. Die Heiligsprechung des abgetretenen Bayern-Trainers Heynckes scheint bereits prae mortem vollzogen. Die Grundlage dafür war der Erfolg, das Triple aus deutscher Meisterschaft, DFB-Pokal und Gewinn der Champions League. Aber das allein hätte nicht gereicht. Es mussten jene Werte dazukommen, die seit einiger Zeit in ihn projiziert werden: Integrität, Solidarität, Ehrlichkeit, (Alters-)Weisheit, Menschlichkeit. Und Demut. Heynckes nahm sein Schicksal (die Beförderung in den Ruhestand zugunsten eines Jüngeren) demütig an und machte das Beste draus. Aber dann brauchte es – analog zum christlichen Wunder – immer noch ein erstaunliches Ereignis, dessen die Augenzeugen (und dank Fernsehkameras sind das sehr viele) noch in Jahren gedenken werden. Dieses trug sich zu, als Heynckes im Frühjahr nach einem Spiel in seiner Heimat Mönchengladbach von Rührung geschüttelt bei einer Pressekonferenz weinen musste. Seither gilt: Ecce deus.

Sein Nachfolger Pep Guardiola wird seit Jahren in Katalonien und im Real-Madrid-skeptischen Teil Spaniens als Muster eines hart arbeitenden, ehrgeizigen, aber dabei sozialen und demütigen Menschen rezipiert, der die Werte seiner Kirche (bisher Barça) und Region (Katalonien) vorbildlich lebt und voranbringt. Dass er seinen krebskranken Freund und Kollegen Tito Vilanova nicht besucht haben soll, ist ein neues Kapitel, das an den Grundfesten dieser Erzählung zu kratzen versucht.

Demut

Auch beim Freiburger Trainer Christian Streich geht es in diesem Kontext nicht darum, wie er „wirklich“ ist, sondern wie er und warum er so gesehen wird. Auch hier ist die Zuschreibung von Demut und Treue ein zentraler Aspekt. Streich nimmt die schwierigen Umstände auf Erden und bei seinem SC Freiburg (wenig Geld, weggekaufte Spieler) demütig an. Auch ihm werden Bescheidenheit, Integrität, Heimatverwurzelung, Menschlichkeit und eine bodenständige und daher erträgliche Art von Weisheit zugeschrieben. Zwar kann er auch schon mal als Feuer über seine Feinde (u. a. Schiedsrichter) herniederfahren, aber es überwiegt die Vorstellung vom zielstrebigen, aber gütigen Vater, der jedes Kind für dessen Qualitäten (und auch Defizite) liebt und damit die Grundlage für eine harmonierende und funktionierende Familie schafft.

Bei Streich wie auch bei Guardiola vermischen sich diese Sehnsüchte mit dem Wunsch einer akademischen Kundschaft nach einem intellektuellen Fußballtrainer, der die Welt zu erklären versteht, wo es Marx, Adorno und Woody Allen anscheinend nicht mehr vermögen.

Diese Sehnsucht verkennt, dass ein moderner Trainer – analog zu einem Silicon-Valley-Unternehmer – nur erfolgreich sein kann, wenn er möglichst wenig schläft und sich in seiner wachen Zeit praktisch ausschließlich mit der fußballerischen und charakterlichen Entwicklung seines Teams beschäftigt.

Wie die Welt, so wird auch der Fußball immer komplizierter, sodass selbst manche Profis nicht mehr mitkommen. Das Spiel in dieser Lage global zu revolutionieren (Guardiolas neue Definition von Ballbesitz-Fußball mit Barça), im Schwarzwald an der Spitze der Innovation zu arbeiten (Streichs identitärer Freiburger Teamfußball) oder ein etabliertes, innovationsfeindliches Weltunternehmen sozial- und kulturverträglich zu modernisieren (Heynckes’ leise Transformation des Bayern-Geschäftsmodells vom kalten Heldenfußball zum Team mit Spirit), das sind geglückte und tatsächlich vorbildhafte Modernisierungsprojekte, deren Dynamik allesamt der Verknüpfung von Innovation und Sozialgedanken entspringen.

Dafür könnten Fußballtrainer gesellschaftliche Leitbilder sein. Aber diese Neuerfindung des deutschen Fußballs kommt durch genau jene Veränderungen zustande, die sich Politik oder Gesellschaft eben nicht zumuten möchten oder können. Konkret: Individualist Robben vom FC Bayern hat (in einem autoritären System, okay) persönliche Privilegien abgegeben (rumstehen, wenn der Gegner den Ball hat) und Sozialarbeit übernommen (Laufwege nach hinten), bevor er wusste, dass es dadurch für alle besser wird, auch für ihn. Welcher freie Bürger würde das noch riskieren? Deshalb wird der Trainer nicht für das erfolgreiche Neue bewundert, sondern sicherheitshalber nur für klassische Werte wie Menschlichkeit und Integrität.

Auch die Sehnsucht, die der Fußball weckt, ist im Normalfall, also bei Anhängern der Erfolglosen, rückwärtsgewandt und speist sich aus dem Wunsch nach der Rückkehr einer goldenen und immer einfacheren Zeit, als die Schlote noch rauchten und die Spieler von der Schicht auf den Trainingsplatz kamen. Im seltenen Erfolgsfall – wie nun in München und Freiburg – geht es um das Verweilen des Augenblicks. Faktisch aber entwickelt sich der Fußball noch rasanter als die Digitalisierung – wie man an Barça sieht, das seinen Innovationsvorsprung längst wieder verloren hat. Guardiolas größte Aufgabe wird es sein, so zu tun, als verlängere er nur die Gegenwart, während er in Wahrheit das Werk des Vaters Heynckes’ zügig – und erfolgreich – überarbeiten muss.

Macht

Es gibt noch eine weitere Dimension der Traineridolisierung: der Trainer als potenter Schöpfer. In einer Welt, in der Merkel, Kretschmann und selbst Obama kaum mehr vermögen, als Befindlichkeiten und Interessen von Macht- und Lobbygruppen zu Kompromissen zu verhandeln, erscheint der Trainer nicht nur als Monteur oder Moderator, sondern als Autor, der im Kopf, am Computer und auf dem Trainingsplatz entwickelt, was tatsächlich dann auch so auf den Rasen kommt. Zwar arbeitet er inmitten eines Autorenkollektivs von Trainern, Analysten und Wissenschaftlern, die alle komplexes Spezialwissen einbringen; aber letztlich ist ein erfolgreiches Fußballteam heute ein Geschöpf, das sein Dasein in voller Abhängigkeit von seinem Trainer führt.

Aber die Projektion und Identifikation ist immer abhängig vom sportlichen Erfolg. Jupp Heynckes dürfte durch seinen klugen Abgang für die Ewigkeit vorgesorgt haben. Bei Abstieg (Streich) oder gar nur einer Vizemeisterschaft (Guardiola) nützen auch die authentischste Demut und Hingabe nichts.

Peter Unfried, 49, ist Chefreporter der taz. Er hat den „Berti-Faktor“ entdeckt, eine Maßeinheit für Rückständigkeit im Fußball