■ Die SPD im Konzert der „Solidarpakt“-Diskussion: Der folgenlose Unterschied
Manchmal haut die SPD so richtig auf den Tisch und spielt konsequente Opposition. Danach ist immer schwer zu sagen, ob die Konfrontationsversuche nicht noch schlimmer sind als die in der erprobteren Kooperationsrolle. Am Montag also findet Björn Engholm den „Gesprächsbedarf der SPD mit dem Kanzler erschöpft“. Am Dienstag geht der sozialdemokratische Koordinator Oskar Lafontaine ins Kanzleramt. Wer nun meint, hier wisse wohl die rechte Hand nicht, was die linke tut, muß sich belehren lassen. Die SPD achtet auf den feinen Unterschied. Zwar mag der sozialdemokratische Parteivorsitzende nicht mehr zu Kohl gehen. Ein Ministerpräsident aus dieser Partei, heißt er nun Lafontaine oder Engholm, verhandelt natürlich über den Solidarpakt. Und wenn heute die SPD-Länderchefs mit der Spitze der Bundestagsfraktion beraten, kann es vernünftigerweise nur darum gehen, ob zwischen Bund, Ländern und Tarifparteien doch noch ein solides Paket zustande kommt. Selbst dran schuld, könnten wir sagen, wenn die SPD sich so gering schätzt, daß sie sich als Partei, als politische Kraft aus diesem Prozeß zurückzieht.
Doch Engholm hat im selben Atemzug seinem Länderkoordinator einen echten Parteiklassiker aufgepackt. Nun nämlich hat die SPD den großen Unterschied entdeckt und will dem konföderalen Konsolidierungskonzept der Regierung mit einem Gegenentwurf („sozial gerecht, ökologisch und ökonomisch seriös“) kommen. Gibt der Parteivorsitzende Versäumnisse zu? Schließlich hat die SPD stets behauptet, ihre Vorschläge lägen auf dem Tisch. Die SPD auf der stets beliebten Suche nach dem ganz anderen Programm, dem alternativen Entwurf – die Vorstellung macht schaudern. Denn die deutsche Integration leidet neben dem offenbar gewordenen Besitzstandsegoismus im Westen an einer weiteren Krankheit: den unentwegten und lähmenden Versuchen der politischen Lager, mit ihren Grundsätzen recht zu behalten. Industriepolitik oder Privatisierung, Sozialstaat oder Eigenverantwortung, Steuerhöhung oder Sparen – viel zu langsam lösen sich Parteien und Politiker von diesen Gegensätzen. Das Konzept von Waigel, Kohl und Lambsdorff ist mit der Note mangelhaft gerecht beurteilt. Doch scheint es die Stunde der Wahrheit einzuläuten: In der Union ist der Streit um Arbeitsmarktabgabe, soziale Schieflagen und die staatliche Rolle bei der Industriesanierung aufgebrochen.
Die SPD wird vor ihrer Stunde der Wahrheit nicht flüchten können: Die soziale Ausstattung des Westens wird im Interesse der Integration nicht unverändert bleiben können. Der Versuch, dem via Gegenentwurf zu entgehen, ist albern. Als Lübecker Bürger wird Engholm wissen, daß das ein recht harter Ausdruck der Verurteilung sein kann. Tissy Bruns
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen