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Archiv-Artikel

Die Niedertracht der Formulierungen Sich selbst mal auf Null stellen und alles wird gut

Als hartnäckiger Weltausbesserer bin ich derzeit mit meinem Latein ziemlich am Ende. „Minister“ – und dies nur als Beispiel – „Minister“ also, das ist lateinisch für „Diener“. Und NRWs erster Kulturdiener Michael Vesper hat doch neulich... Apropos! Habe ich erwähnt, dass auch „Vesper“ ein lateinisches Wort ist? Ja, wirklich. Der Duden meint dazu: „Vesper <lat.; ‚Abend, Abendzeit‘: 1. vorletzte, abendliche Gebetsstunde 2. kleinere Zwischenmahlzeit“.

Aber was wollte ich eigentlich sagen? Ach ja: Im November erschien verspätet und schnell veraltend die erste Ausgabe des neuen Feuilletons für NRW, genannt K.WEST (sprich: kwest, engl. quest = Suche), und in der SUCHE hat auf Seite 40 der ‚Abendzeit‘-Michael im Rahmen der Kulturschredderaktion „Schlanke Künste 04/05“ solche Sätze gesagt wie: “Nehmen wir die fünf Literaturbüros. Die Rasenmähermethode würde bedeuten, jedem Büro 20 Prozent wegzunehmen, was alle fünf gefährden würde. Oder aber die Beteiligten bringen den Mut auf, zu versuchen, ihre Zahl auf vier zu reduzieren, die dann weiterarbeiten könnten wie bisher.“ Mal davon abgesehen, dass es nur vier Literaturbüros gibt, war der Streit um sie bei Erscheinen von K.WEST längst gegessen – als kleinere Zwischenmahlzeit. Vesper hatte sich doch für den Rasenmäher entschieden und 4 x je 20 % gekappt.

Erweckend bleibt aber selbst im Nachhinein die verblüffend postpostmoderne Rekonstruktion seines ‚Mut‘-Begriffs. Nähme man die ernst, dann wären nur diejenigen als Kulturförderer ‚mutig‘, die bereit sind, die eigenen Institute heiter-gelassen abzuwickeln: eine Art berufliches „harakiri on demand“ also. Übertrüge man dieses Denkmodell auf Arbeitslose, Rentner, Kranke und andere Mehrheiten, dann müssten Ghostwriter der Gesundheitsministerin bald Sätze erfinden wie: „Nehmen wir z. B. fünf Inkontinente auf einer urologischen Station. Die Rasenmähermethode würde bedeuten, für alle fünf weniger Windeln bereitzuhalten. Oder aber die Beteiligen bringen den Mut auf zu versuchen, ihre Zahl auf vier zu reduzieren, die dann weiterpinkeln könnten wie bisher.“ Oder so. Dass solcherart Nonsens-Satzmuster kaum noch auffallen, liegt wohl auch daran, dass sich alle Parteien beim kulturpolitischen Dummdeutsch und intellectual dumping täglich aufs Neue unterbieten. Sprachlich-geistiges “Sparziel“ ist die Narkose der kritischen Öffentlichkeit und kulturpolitischen Opponenten. „Alles gehört auf den Prüfstand“ heißt zwar eine zermürbende Spar-Doktrin rot-grüner (gelb-schwarzer) Kulturpolitik, doch damit meint sie sich niemals selbst. Und irgendwer setzt immer gnadenlos einen drauf: Mit der „weitestgehenden Verschonung“ der Kultur sei nun Schluss, alle Fördertöpfe gehörten „auf Null gestellt“. Im Metaphernvollrausch inszenieren sich die Kulturkürzer gleich selbst noch als Opfer gottgegebener Spardiktate – und dürfen deshalb auf Argumente ganz verzichten. Die Beweislast wird einfach umgekehrt. Wer weiterhin störrisch Kunst und Künstler fördern will, dem wabert heutzutage ein „Ihre Ansprüche müssen neu begründet werden“ entgegen. Bei mir hat so was durchschlagende Wirkung. Vorweihnachtliche Überdosen Sprachweihrauch stimmen mich opferbereit. Ich verzichte hiermit – Ehrenwort – auf jede Neubegründung überholter Ansprüche. Schafft endlich die Künste ab! Schult ihre Förderer um! Und: Gleiches Unrecht für alle! Was einst für die Knappen unter Tage galt, muss man auch überflüssigen Kulturarbeitern gönnen. Also, her mit den Stilllegungsprämien, den satten Abfindungen fürs Sichabfinden!

Dies für heute mein allerletztes Stoßgebet. Sage doch jemand: Amen! Das ist nämlich hebr.-gr..-lat. für: wahrlich; es geschehe!

VON GERD HERHOLZ