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Archiv-Artikel

Die Nichtbehinderten sind das Problem: Schlingensiefs „Freakstars 3000“ im Lichtmeß Glamour-Paralympics

Im neuen Schlingensief gewesen. Fahrig geworden. Aber weil dies eine Besprechung werden soll, muss noch was kommen. Also: Der große Liturg des schlechten Gewissens hat wieder zugeschlagen. Wer VIVA schaut, ist dort womöglich zwischen hundert anderen Sendeformaten, die Fiktion und Wirklichkeit zu einer unbekömmlichen Sinnflädle-Suppe verkochen, über Christoph Schlingensiefs „Freakshow 3000“ gestolpert. In sechs Teilen lief das da. Eventuell war jemand an der Volksbühne in Berlin und hat der großen Abschluss-Show seiner Deutschland sucht den Superstar-Verwurstung mit Behinderten beigewohnt. Wer den unartigen Schlingensief lieber in geringeren Dosen konsumiert, kann sich jetzt das 75 Minuten lange Best of der Castingshow mit den Freaks im Lichtmeß-Kino zuführen.

Nichts gegen Unsinn übrigens. Jedenfalls, wo er als Anschlag auf landläufige Sinnknäste rüberkommt. Und dies macht Schlingensief mit „Freakstars 3000“: Er leiht sich ein paar Gesten beim Sozialistischen Patientenkollektiv und bei Joseph Beuys und läuft Sturm gegen einen dieser Sinnknäste, indem er verkündet, es werde die Problematik der Nicht-Behinderung behandelt. Er stellt Behinderte auf eine Bühne, er setzt sie vor eine Jury, er schickt sie zu Artikulationsübungen bei Irm Herman aus dem Fassbinder-Ensemble, er kleidet sie in Glamour, und siehe da: Das ist genauso unterhaltsam wie DSDS (Deutschland sucht den Superstar). Aber haben jetzt die Nicht-Behinderten ein Problem mehr? Oder eins weniger?

Da war Schlingensief schon mal weiter, als der taz in die Feder sprach: „Der Freak ist die Situation selbst, die uns zur Unterscheidung zwingt, was normal ist und was nicht.“ Gelernt habe er das aus Tod Brownings Film Freaks. Ein Rätsel, wie er das konnte, denn Browning hat nur die Stempel des Schönen und des Könnens auf den Normalen gelöscht und dann an den Behinderten ausprobiert.

Freakstars 3000 zeigt davon die bösartige Kehrseite. Denn was DSDS zu dem macht, was selbst von denjenigen Unterhaltung genannt wird, die sich ihre Zeit lieber anders vertreiben, sind weniger die Skills der Kandidaten, als deren ausgestelltes Unvermögen.

Schlingensiefs Performances werden geradezu rituell von der Kritik begleitet, er führe seine Mitspieler vor. In dem Film sucht er dem durch Befragung eines Darstellers die Spitze zu nehmen: „Gestehen Sie. Der Arbeiter Samariter Bund will, dass Sie Hühner schlachten.“ - „Ja.“ - „Sie werden aber hier bei uns missbraucht, ist das richtig?“ Im prompt ausgestoßenen „Nein“ steckt allerdings mehr als eine Exkulpation für den Theatermacher nach dem Motto „Lohnarbeit ist mies, Schauspielen bringt Spaß“. Denn es könnte auch abwatschen, dass der überhaupt verlangt, zwei Formen von Ausbeutung in eine Rangfolge zu bringen. Und nicht zuletzt watscht es noch einmal die Kritiker. Denn wieso sollte man annehmen, ein Behinderter könne das Bild, das er in einer solchen Show abgibt, weniger bestimmen als ein Teenager mit festem Blick auf eine verheißungsvolle Zukunft.

Jetzt sieht es beinahe so aus, als unterscheide sich Schlingensiefs Show von DSDS und vergleichbaren Formaten überhaupt nicht. Und doch wähnen sich seine Zuschauer auf der besseren Seite. Immerhin bringt man ein Interesse für Behinderte auf. Immerhin, „einer macht was“ mit ihnen, anstatt sie dem immer sparsamer verwalteten So-Sein in Anstalten zu überlassen. Immerhin, einer rührt noch in dem Topf, in den die Ingredienzien linker Protestbewegungen schamvoll gesteckt wurden. Die Spritzer, die nach so viel Gequirle wohl unvermeidlich sind, lassen sich zu Hause bequem auswaschen.

Christiane Müller-Lobeck

Do, 20 Uhr, Lichtmeß