Die Linke: "Nur noch Schnittblumen"
Ralf Lunau, Vorsitzender der linken Stadtratsfraktion in Dresden, beklagt den Mangel an Pluralismus in seiner Partei seit der Fusion mit der westdeutschen WASG
taz: Herr Lunau, sieben Stadtratskollegen haben mit Unterstützung Ihrer eigenen Partei eine neue, linientreuere Fraktion gegründet. Leiden Sie jetzt an dieser Partei?
Ralf Lunau: Weniger an der Partei als an der Spaltung. Es gibt ja dieses Bonmot, die Linken vermehrten sich durch Spaltung. Wir gehen in linken Parteien Auseinandersetzungen lieber durch Spaltung aus dem Weg, als sie zu führen. Die CSU zum Beispiel ist mir inhaltlich sehr fern, aber sie hält auch Leute aus, die näher zur SPD oder zu den Grünen stehen. Das ist ein Teil ihres Erfolgs in Bayern. Ich bedauere es, dass es die linken Parteien mit gewaltig aufgeblähten Programmschlachten nicht verstehen, ähnlich integrativ zu wirken.
Verführt das derzeitige Vereinigungshoch der neuen Linken zu der Meinung, man könne sich den Verlust pragmatischer Gruppen wie Ihrer Dresdner Stadtratsfraktion leisten?
Manche Gruppierungen glauben offenbar, dass dieser Vereinigungsvorgang sie in irgendwelche historischen Rechte setzt. Dabei halte ich den Vorgang, der hier in Dresden gerade stattfindet, eigentlich für anachronistisch. Auf der einen Seite rühmt man sich der neuen Einheit, auf der anderen führt das zu Spaltungsbewegungen. Diese Logik will sich mir nicht erschließen.
Setzen die Dresdner Vorgänge ein Signal für neue Wanderungsbewegungen?
Die Linke wird ein ganz prinzipielles Dilemma aushalten müssen. Auf der einen Seite übt sie prinzipielle Kapitalismuskritik, auf der anderen Seite ist sie bemüht, im Rahmen dieses Systems Änderungen für die Menschen herbeizuführen. Beides ist legitim, aber eigentlich ein Widerspruch in sich.
Nun kennen wir ja antagonistische und dialektische Widersprüche
Ich halte das für einen dialektischen Widerspruch, der zu erfolgreicher linker Politik treiben kann. Das System wird sich nach meiner Überzeugung in den nächsten Jahren noch radikal ändern. Aber wir sollten nicht wie in der DDR von außen auf den Kapitalismus schauen, sondern Veränderungen aus der Gesellschaft heraus entwickeln.
Empfinden Sie es als eine persönliche Niederlage, dass Sie es nicht geschafft haben, diese inhomogene Stadtratsfraktion zu integrieren?
Ja, ganz offen, ja. Es trifft mich persönlich, wenn auch bei den einzelnen Akteuren unterschiedlich. Das Zentrum war nicht stark genug, die offensichtlich zentrifugalen Kräfte zu binden. Ich kann nur hoffen, dass das nicht das Abbild einer Kontroverse der Partei in der ganzen Stadt und darüber hinaus ist. Ich kann kein Interesse daran haben, dass sich die Organisationsformen linker Politik atomisieren.
Wo haben pragmatische Politiker wie Sie und die neun verbleibenden Stadträte eine politische Zukunft?
Ich will mich gar nicht von der Linkspartei abgrenzen. Ich bin für die damalige PDS mit einem Wahlprogramm und in ihrem Namen angetreten. Dazu stehe ich und fühle mich ihr auch als Parteiloser verpflichtet. Es gibt weiterhin genügend große inhaltliche Übereinstimmungen.
Und doch klingt dabei an, die PDS und die Linkspartei.PDS seien etwas anderes gewesen als die Linke heute.
Die politische Kultur, die 1989/90 in der PDS entstanden ist, scheint mir derzeit in Frage zu stehen. 1999, als ich zum ersten Mal für den Stadtrat antrat, wurde meine Parteilosigkeit noch als Bereicherung angesehen. 2004 gab es schon erste Bedenken, und im Zuge der Vereinigung sollten Kandidaturen Parteiloser zunächst sogar ausgeschlossen werden.
Also zählt inzwischen wieder mehr die Parteilinie?
Ja, zumindest geht es weniger pluralistisch zu. Man will geordnete Verhältnisse. Keine bunte Wiese mehr, nur noch Schnittblumen.
INTERVIEW: MICHAEL BARTSCH
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