: Die Lebensaufgabe
VERANTWORTUNG Weil die EU keine Hinrichtungsgifte liefert, fehlt in US-Gefängnissen der Nachschub. Der Bundesstaat Missouri plant nun, Propofol zu verwenden: ein deutsches Medikament. Die Aktivistin Maya Foa will das verhindern
■ Die Substanz: Propofol ist ein Narkotikum. Die Wirkung tritt innerhalb von Sekunden ein. In den USA soll es nun für die Todesstrafe eingesetzt werden – weil andere Mittel knapp werden. Die deutsche Firma Fresenius Kabi hat praktisch ein Monopol auf die Herstellung.
■ Das Verbot: „Niemand darf zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden“, heißt es in der EU-Charta der Grundrechte. Im Jahr 2005 erließ die EU zudem eine Verordnung, die den Handel mit Gütern verbietet, die zur Vollstreckung der Todesstrafe eingesetzt werden können. Zuerst standen elektrische Stühle auf der Liste, später auch Narkosemittel.
■ Der Haken: Propofol darf bisher noch ausgeliefert werden. Die Europäische Kommission will stärkere Kontrollen prüfen. Sie werde die Lieferung von Propofol „an ausländische Behörden, die mit Hinrichtungen beauftragt sind, aufmerksam verfolgen“, antwortete die Kommission am Montag auf Anfrage einer EU-Parlamentarierin.
AUS BRÜSSEL, BAD HOMBURG UND WASHINGTON RUTH REICHSTEIN, HEIKE HAARHOFF UND JOHANNES GERNERT
Nach dem Urteil beschließt David Zink, dass er leben will, und er beginnt zu klagen. Die erste Berufung lehnen die Richter im Jahr 2005 ab. Dass Zink sich in seinem Prozess selbst verteidigt hat, sei rechtmäßig, begründen sie. Beim zweiten Versuch lässt der zum Tode Verurteilte seinen Anwalt argumentieren, er sei nur begrenzt zurechnungsfähig. Die Jury hätte Bilder von seinem Gehirn betrachten müssen, um das zu begreifen. Auch diese Berufung lehnt ein Gericht ab. Das ist 2009.
David Zink, 52 Jahre alt, Häftling des Potosi Correctional Center im US-Bundesstaat Missouri, schuldig gesprochen wegen Mordes an der 19-jährigen Amanda Morton, hat jetzt nur noch eine Hoffnung: Propofol. Das Gift, mit dem er getötet werden soll.
Den Bundesstaaten der USA gehen die Chemikalien aus, mit denen sie hinrichten können. Missouri ist der erste Staat, der es mit dem Stoff Propofol versuchen will. Dem Mittel, das Michael Jackson hinwegdämmern ließ. Dagegen klagt David Zink. Am Ende könnte es um mehr als sein Leben gehen.
„Zink et. al. vs. Lombardi et. al.“ heißt der Fall Nummer 12AC-CC00396. David Zink gegen George A. Lombardi, den Direktor der Gefängnisbehörde von Missouri. Zink kämpft dieses Mal nicht allein. 18 Anwaltskanzleien vertreten insgesamt 21 Kläger.
Und in Brüssel hat David Zink eine Verbündete, die er gar nicht kennt.
Maya Foa sitzt in einem mit Akten vollgestopften Büro im 14. Stock des Parlamentsgebäudes in Brüssel, direkt vor dem Schreibtisch der portugiesischen Abgeordneten Ana Gomes. Foa hat nicht viel Zeit bekommen – zehn Minuten, das muss reichen. Aber die Aktivistin ist hohes Tempo gewohnt. Sie fährt Rennrad, und wenn sie spricht, kommt jedes nächste Wort schneller als das zuvor. Sie mag keine unnötigen Freundlichkeitsfloskeln.
Foa will die Bürokraten und Politiker in Brüssel dazu bringen, dass sie den Export von Propofol kontrollieren lassen. „Sie müssen verhindern, dass das Medikament, das Leben retten kann, zum Töten verwendet wird“, sagt Maya Foa und sieht die Sozialistin Ana Gomes auf der anderen Schreibtischseite an.
In Maya Foas schwarzem Rucksack stecken ihr Laptop, ein dünner Kalender aus blauem Kunstleder, ein Kulturbeutel und eine Packung Schmerztabletten. Die Klamotten, die sie trägt, müssen für zwei Tage reichen. In dieser Zeit will Foa eine öffentliche Anhörung im EU-Parlament vorbereiten, um auf die Sache mit dem Propofol hinzuweisen. In den vergangenen zwei Jahren hat sie mit anderen dafür gesorgt, dass mehrere Medikamente, mit denen Todesspritzen in amerikanischen Gefängnissen aufgezogen wurden, von der Europäischen Union mit einer Exportkontrolle belegt worden sind.
Die Verurteilten sollen sterben, aber nicht leiden
Es geht Maya Foa, 28 Jahre alt, um das Große, das Ganze, um die Abschaffung der Todesstrafe. Ihre Chancen waren selten so gut.
Als sie damals begann – im Oktober 2010 – hat sie nicht gedacht, dass sie so weit kommen würde. Sie saß in ihrem Büro bei der Nichtregierungsorganisation Reprieve in London, einem Haus schräg gegenüber der St Paul’s Cathedral mitten in der Stadt. Reprieve setzt sich für das Ende der Todesstrafe ein, für die Schließung des Gefangenenlagers Guantánamo und die Aufklärung über geheime Gefängnisse der Amerikaner in Europa. „Ich hatte damals gerade angefangen, war praktisch noch Praktikantin“, sagt Foa. Sie hatte Literatur und Jura studiert und danach alternative Theaterprojekte organisiert. Foa ist in London groß geworden, ihr Vater Inder, ihre Mutter Italienerin.
Als Maya Foa die Tür zum Büro der Sozialistin Ana Gomes hinter sich zuzieht, hat sie von der Politikerin die Zusage für ihre Anhörung bekommen. Es wird noch mehr Aufmerksamkeit für ihr Thema geben, für Propofol.
„Kriegt mich für Mord dran“, sagt David Zink der Polizei, als sie ihn im Juli 2001 festgenommen haben, ein Tonband läuft. Und dann: „Gebt mir die Todesstrafe. Bringt es hinter euch.“ Er hatte gerade erst eine Gefängnisstrafe wegen Vergewaltigung abgesessen, als er die Tat beging.
Auf den Polizeifotos ist David Stanley Zink ein Mann mit kantigem, rasiertem Kopf und einem dichten Schnauzbart. Den Gerichtsakten nach ist er der Sohn eines psychisch kranken Vaters und einer depressiven Mutter, hat als Kind einen Sprachfehler und beginnt mit 15, sich bewusstlos zu saufen.
33 Bundesstaaten der USA töten, um zu strafen. Die meisten von ihnen verwenden dafür Chemikalien. Der Tod durch Gift kann ein stiller Tod sein, wenn alle Mittel richtig wirken. Man spritzt Pentobarbital oder Thiopental, um zu betäuben, dann Pancuroniumbromid, um die Muskeln zu lähmen, zuletzt Kaliumchlorid, ein Salz, das das Herz zum Stillstand bringt. So haben das viele US-Staaten lange gemacht. Niemand zuckt wie auf dem elektrischen Stuhl, keiner zappelt wie am Galgen. Wenn alles läuft wie geplant.
Die Menschen sollen sterben, aber sie dürfen nicht leiden. So verlangt es das Gesetz. Gerichte haben die Kombination aus Injektionslösungen immer wieder genehmigt. Gift zu spritzen, erscheint ihnen und den Gefängnisbehörden als die menschlichste Form der Todesstrafe. Aber es gibt Menschen wie Maya Foa, die der Meinung sind, dass es keine menschliche Todesstrafe geben kann. „Ein Staat darf keine Menschen umbringen. Und keiner sollte ihm dabei helfen“, sagt Foa.
Im Herbst 2010 ruft der Chef von Reprieve im Londoner Büro bei Foa an. Er ist gerade in den USA, der Anwalt eines Todeskandidaten in Arizona hat ihm erzählt, dass Gift für die Hinrichtungen aus Europa komme. Ob sie das einmal kurz überprüfen könne, er würde dann in einer halben Stunde wieder anrufen?
Das Telefonat macht sie zur Verantwortlichen für ein Thema, das zu einer der wichtigsten Kampagnen ihrer Organisation führen wird.
Ein erster Erfolg: kein Gift mehr aus Großbritannien
In diesem Herbst 2010 beginnt Maya Foa im Internet zu recherchieren, sie ruft Anwälte, Ärzte und andere Nichtregierungsorganisationen an. Nach ein paar Wochen hat sie herausgefunden, dass das in Arizona verwendete Schlafmittel Thiopental von einer Online-Apotheke im Londoner Vorort Acton kam. Im Hinterzimmer einer Fahrschule hatte der Besitzer sein Unternehmen Dreampharma eingerichtet.
Die Lieferschwierigkeiten müssen wirklich groß sein, wenn sich die Gefängnisleitung in Arizona die Stoffe zum Töten aus einer britischen Online-Klitsche schicken lässt. Nicht nur Arizona, auch Georgia und Kalifornien bestellen ihr Gift damals aus dem Hinterzimmer der Elgone Driving Academy, 176 Horn Lane, ein kleines, schäbiges Schaufenster in einer Straße voller roter Klinkerfassaden.
Die Bundesstaaten agieren wie Süchtige auf Entzug. Die Gifte werden knapp. Sie brauchen einen Dealer.
Der Hersteller des Medikaments Thiopental heißt Sandoz, es ist eine Tochter des Schweizer Pharmariesen Novartis.
Foa schreibt einen Brief an Vince Cable, den britischen Wirtschaftsminister. Der kündigt schon am 29. November 2010 ein Exportverbot für Thiopental an. Gift für Hinrichtungen soll nicht aus Großbritannien kommen. Ein erster Erfolg.
In Missouri, dem Staat, in dem der Mörder David Zink aus dem Gefängnis heraus gegen seinen Tod kämpft, wurde zuletzt ein 47 Jahre alter Mann hingerichtet, der ein elf Jahre altes Mädchen vergewaltigt hatte. Es war der 9. Februar 2011. Es war der 1.239. Mensch, der in den USA seit der Wiedereinführung der Todesstrafe vor 36 Jahren gerichtlich angeordnet sein Leben verlor. Thiopental, Pancuroniumbromid, Kaliumchlorid. Erst die Sinne, dann die Muskeln und schließlich das Herz.
Nachdem der Staat Missouri seine Berufungen abgewiesen hat, zieht David Zink im März 2011 vor ein Bundesgericht, um die Todesstrafe abzuwenden. Auch das lehnt seinen Antrag ab. Die Hinrichtung steht bevor.
Das Mittel allerdings, das Missouri zu diesem Zeitpunkt noch verwendet, wird einige Monate nach Zinks Urteil knapp. Die EU kontrolliert den Export von Thiopental. Die US-Firma Hospira, die es auch hergestellt hat, stoppt die Produktion. Sie will keinen Stoff mehr verkaufen, der praktisch nur noch für Hinrichtungen eingesetzt wird. Krankenhäuser nutzen das Narkosemittel kaum noch.
Im Januar 2011 erfährt Maya Foa von amerikanischen Rechtsanwälten, dass die dänische Firma Lundbeck das Mittel Pentobarbital in die USA verkauft, zugelassen zur Behandlung von Krampfanfällen, etwa bei Schizophrenien oder Parkinson. „Die Dänen lieferten nicht direkt an die Gefängnisse, aber die Behörden besorgten sich das Mittel über Großhändler“, sagt Foa. Sie schreibt der Pharmafirma, im März 2011 fliegt sie hin, sie erinnert sich noch genau.
Der Firmensitz von Lundbeck liegt am Stadtrand von Kopenhagen: ein vier Etagen hohes Glashaus mitten in einem Park. Alles hell, alles transparent. Lundbeck schickt den Pressesprecher vor.
Foa ist bis in die Fußnoten vorbereitet, sie weiß, dass der Vertrieb von bestimmten Medikamenten in den USA streng kontrolliert wird. Das muss also auch für Pentobarbital möglich sein. Am 11. Juli 2011 führt Lundbeck ein neues Kontrollsystem für den Verkauf des Mittels ein: Diejenigen, die ein Anrecht auf das Medikament haben, werden auf einer Liste verzeichnet. Der Vertriebsweg wird verfolgt, bis das Mittel bei der berechtigten Person angekommen ist. „Die Gefängnisse könnten sich die Medikamente zwar noch besorgen, aber dann wird sofort öffentlich, dass sie es illegal tun. Das ist eine sehr effektive Kontrolle“, sagt Maya Foa. Der zweite große Erfolg.
Und dann im Dezember 2011 ändert die Europäische Kommission nicht zuletzt wegen des Drucks von Foas Organisation Reprieve die Antifolterrichtlinie der Europäischen Union. Darin sind Produkte aufgeführt, die nicht oder nur unter strengen Auflagen exportiert werden dürfen, elektrische Stühle etwa. Nun zählen dazu auch mehrere Medikamente, die in den USA für Hinrichtungen verwendet worden sind, unter anderem Thiopental und das Narkosemittel Pentobarbital. Es ist Foas größter Coup.
Warum sie das alles tut? Maya Foa überlegt nur kurz. „Mein Vater war sehr krank und starb, als ich 13 war. Mit Anfang 20 verlor ich dann meine Mutter. Das spielt sicherlich eine Rolle, aber es ist keine Erklärung.“
Foa sitzt im Café Karsmarkers gegenüber dem Europäischen Parlament am Fenster und trinkt einen Orangensaft. Während sie spricht, rutscht ihr Blick immer wieder zu ihrem Blackberry zurück. Vor ihr liegt eine Plastiktüte mit drei Äpfeln. Keine Zeit für die Kantine an den 16-Stunden-Tagen in Brüssel.
Die Aktivistin hat es dieses Mal nicht so leicht
„Wenn du einen Pharmakonzern überzeugen willst, musst du ihn genauso gut kennen wie die Chefs selbst“, sagt sie. Den Firmen, mit denen sie verhandelt, bietet sie Unterstützung an, statt Kampagnen zu starten.
In den USA verschärft die Ächtung der EU 2011 den Engpass. Zahlreiche Staaten verschieben ihre Hinrichtungstermine. Sie grasen den weltweiten Markt ab. Nebraska und South Dakota versuchen, ihr Pentobarbital aus Indien zu besorgen. Maya Foa fliegt nach Mumbai und fragt die Unternehmen, ob sie wollen, dass ihr Name auf Hinrichtungssubstanzen steht. Sie schafft es, auch diesen Kanal zu blockieren.
Aber in Missouri entwickeln die Behördenvertreter eine Idee. Wenn die gängigen Mittel nicht zu kriegen sind, muss man es eben mit einem anderen versuchen. Einem, das vor allem eines nicht ist: ein Nischenprodukt, sondern unverzichtbar für die landesweite Versorgung von Millionen Amerikanern. Eines, dessen Vertriebswege deshalb praktisch kaum kontrollierbar sind.
Am 17. Mai 2012 teilen die Gefängniswärter des Potosi Correctional Center David Zink mit, dass sein Tod jetzt bevorstehen könnte. Er solle sich und seine Familie darauf einstellen, dass sein Name in Medienberichten auftaucht, die neue Hinrichtungstermine verkünden. Die Behörde habe nun die Chemikalien besorgt, die für die Exekution nötig seien. Am selben Tag fordert der Generalstaatsanwalt, endlich Termine für neun zum Tode Verurteilte festzulegen. Einer von ihnen: Zink.
Zwei Tage vorher, am 15. Mai, hat Missouri ein neues Hinrichtungsprotokoll ausgestellt. Als erster Staat der USA will er künftig mit einem einzigen Mittel töten, einem, das bisher nicht verwendet wurde: Propofol. Das Narkosemittel, von dem Michael Jackson bei seinem Tod eine Überdosis im Blut hatte.
Die Verteidiger erkennen ihre Chance sofort. Eine Chemikalie, die noch nie verwendet wurde, um einen Menschen hinzurichten? Wer sie einfach so ausprobiert, begeht eine Art Menschenversuch. Aber wie soll man ihre Wirkung beim Töten testen, ohne zu töten? Die Anwälte klagen.
„Man kann Michael Jackson ja nicht als einen Test betrachten“, sagt Richard Dieter, der Leiter des Death Penalty Information Center in Washington. Sein Zentrum gibt es seit 1990. Er beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema, in manchen Momenten mag ihn das ein wenig zynisch machen.
DAVID ZINK BEI SEINER FESTNAHME
In Missouri könnte sich die Zukunft der Todesstrafe in den USA entscheiden. Wenn die Richter Propofol genehmigen und die erste Hinrichtung gelingt, scheinen die Versorgungsschwierigkeiten erst einmal gelöst. Vielleicht würden andere Staaten folgen.
Wenn die Richter Propofol aber nicht zulassen, sagt Richard Dieter, könnte die Unterstützung für die Todesstrafe weiter schwinden. In vielen US-Staaten wird gerade über ihre Kosten diskutiert. Ein Todeskandidat kostet den Staat offiziellen Untersuchungen zufolge dreimal so viel wie ein Häftling, der zu einer lebenslangen Strafe verurteilt wurde.
In Kalifornien, dem Staat mit den meisten Insassen im Todestrakt, sind die Kosten ein zentrales Argument, wenn im November über einen Antrag zur Abschaffung der Todesstrafe abgestimmt wird. Was die Todesstrafe teuer macht, sind die Berufungsverfahren, all die Gerichtsgebühren.
Am 1. August teilt der Generalstaatsanwalt den 18 Anwaltskanzleien mit, dass Zink vs. Missouri, der Fall Propofol, an ein Bundesgericht verlegt worden sei, den U.S. District Court for the Western District of Missouri.
Eine einzige Firma beliefert die USA derzeit mit Propofol: Fresenius Kabi, eine Tochterfirma des deutschen Konzerns Fresenius mit Sitz in Bad Homburg im Taunus. Der US-Konkurrent Hospira musste die Herstellung im Frühjahr wegen Produktionsschwierigkeiten einstellen.
Maya Foa schreibt wieder Briefe: an Fresenius Kabi, an den britischen Wirtschaftsminister und an die Europäische Kommission. Ihr Ziel: den Verkauf des Mittels an US-Gefängnisse verhindern. Fresenius antwortet zuerst. Am 19. Juni fliegt Maya Foa gemeinsam mit ihrem Chef nach Bad Homburg. Der Chef von Fresenius Kabi persönlich hat sie eingeladen. Das Treffen dauert eineinhalb Stunden.
Es gibt Baguette mit Tomate und Mozzarella, sie sitzen an einem Konferenztisch. Riesig sei der gewesen, sagt Foa. Sie erklärt den Herren in Anzug und Krawatte, wie der Pharmakonkurrent Lundbeck den Vertrieb so umgestellt hat, dass er sich kontrollieren lässt. Ihr ist klar, dass es bei Fresenius nicht so einfach sein wird. Propofol für den US-Markt produziert Fresenius Kabi unter anderem in Schweden. Es kommt in den USA etwa 50 Millionen Mal jährlich zum Einsatz. Das ist pro Tag dreimal so oft wie das Lundbeck-Medikament Pentobarbital im ganzen Jahr.
Aus Sicht der Behörden ist Propofol eine kluge Wahl
Propofol ist so beliebt, weil es vielseitig verwendet werden kann. Es wird als Narkosemittel bei Operationen eingesetzt, aber auch zur Beruhigung bei kleineren Eingriffen wie Magen-Darm-Spiegelungen oder zur Dämpfung von Schmerzen bei Patienten auf der Intensivstation. Weil es sich sehr gut steuern lässt, das bestätigen Ärzte, kommen die Patienten besser aus der Narkose als mit anderen Mitteln.
Propofol ist in den USA das meist verwendete Anästhetikum. Aus Sicht der Gefängnisbehörde von Missouri ist Propofol eine kluge Wahl.
Die Europäische Kommission erwägt, für Propofol eine ähnliche Exportbeschränkung einzuführen wie für die anderen Medikamente zuvor. Seit diesem Sommer gibt es dafür eine neue Expertengruppe, zu der auch Maya Foa gehört. Sie soll regelmäßig nach Brüssel kommen, um die EU-Kommission zu beraten.
Am Montag dieser Woche antwortet Catherine Ashton, Vizechefin der Kommission, einer Parlamentarierin auf eine Anfrage zum Thema Propofol. „Die Kommission wird die Entwicklung in Bezug auf die tatsächliche Lieferung von Propofol durch Hersteller oder Händler der EU an ausländische Behörden, die mit Hinrichtungen beauftragt sind, aufmerksam verfolgen“, schreibt sie. Man werde eine Änderung der entsprechenden Liste „vorschlagen, um alle Ausfuhren von Propofol kontrollieren zu können, sollte sich die Verwendung des Arzneimittels für Hinrichtungszwecke bestätigen“. Wird also wirklich mit Propofol getötet, will die Kommission aktiv werden.
Ob Gerichte in den Bundesstaaten ein neues Hinrichtungsprotokoll mit anderen Chemikalien genehmigen, hängt auch davon ab, wie sie besetzt sind. Konservative Richter in Texas oder Georgia zögern höchstens kurz, bevor sie die Praxis absegnen. In Missouri ist das anders, sagt Richard Dieter vom Informationszentrum in Washington. Da sei der Ausgang offener.
Aber man darf sich nicht täuschen. Die Stimmung im Land ist noch nicht gekippt.
In der Nacht zum 12. Juli 2001 fährt Amanda Morton in ihrem Chevrolet Cavalier über den Interstate Highway 44. Morton ist 19, sie will nach Hause. An einer Abzweigung kracht etwas. Morton sieht, dass ihr ein Truck reingefahren ist. Sie ruft zu Hause an und bei der Polizei. Dann steigt sie aus dem Wagen.
David Zink, der Fahrer des Trucks, ist vor einigen Wochen aus einem texanischen Gefängnis freigelassen worden, nach zwanzig Jahren Haft, auf Bewährung. Er hatte eine Frau vergewaltigt. Zink ist zurück zu seinem Vater gezogen, nach Missouri. An diesem Juliabend hat er sich in ein paar Kneipen in Springfield betrunken.
Zink bringt Amanda Morton mit seinem Truck in ein Hotel. Die Ermittler werden später seine Spermaspuren in ihrem Anus finden. Überall an ihrem Körper werden Wundmale und Würgemale sein. Zink schleppt Morton in die Nähe eines Friedhofs in dem Städtchen Osceola. Er bindet sie an einen Baum und bittet sie, in den Himmel zu schauen. Dann bricht er ihr das Genick und verscharrt sie.
Es besteht kein Zweifel, dass alles so gewesen ist. Es gibt die Autopsie, die DNA-Analysen, das Geständnis. Zu keinem Zeitpunkt hat Zink die Tat geleugnet.
Debbie Morton, Amanda Mortons Mutter, sagt, dass es gerecht ist, wenn David Zink sterben muss. Dass ihre Tochter das verdient hat. „Sie verdient mehr, als sie bisher bekommen hat. Er muss dafür eingeschläfert werden.“
Welche Verantwortung trägt eine Pharmafirma?
Das ist das Argument vieler Amerikaner für die Todesstrafe, sagt Richard Dieter im Death Penalty Information Center: Wer etwas wirklich Grauenvolles getan hat, muss sterben. So ist das Gesetz. Viele empfänden das als fair, sagt Dieter. Schließlich kennt jeder diese Regeln.
Die Zahlen und Fälle, die sein Zentrum in Washington sammelt, zeigen, dass es keineswegs immer so einfach ist, wie das Schicksal von Amanda Morton nahelegt. Aber David Zinks Tat ist eines der Beispiele, das vielen als Rechtfertigung für die Todesstrafe dient. Familien wie die von Amanda Morton hoffen darauf, dass der Tod eines Mörders ihnen hilft, mit dem Verlust umzugehen.
Das Schlimmste, sagt Jeanne Woodford, die als Gefängnisdirektorin den Befehl für vier Hinrichtungen im kalifornischen Todestrakt von San Quentin gegeben hat, sei der Moment nach der Vollstreckung. Wenn die Angehörigen nach Jahren mit immer weiteren Berufungsprozessen, die sie jedes Mal aufs Neue traumatisieren, schließlich merken, dass der Tod keine Hilfe ist.
Wo beginnt die Verantwortung für etwas, das man als Unrecht empfindet? Der Kampf gegen die Todesstrafe kann ein Kampf der politischen Forderungen sein. Bundeskanzlerin Angela Merkel rief die Mongolei im vergangenen Jahr beim Staatsbesuch dazu auf, die Todesstrafe abzuschaffen. Mit Obama spricht sie über den Krieg in Afghanistan und die Entwicklungen in der arabischen Welt.
Im Juli 2011 hat Großbritannien einen weiteren Schritt gemacht und den Export von Propofol verboten. Ein starkes Zeichen. Nur wird aus Großbritannien gar kein Propofol in die Vereinigten Staaten geliefert.
Und Fresenius Kabi, der deutsche Produzent? Kann der Hersteller eines Strickes den Tod am Galgen verhindern? Muss ein Produzent den missbräuchlichen Einsatz seiner Produkte selbst unterbinden? Bereits dann, wenn es sich, wie jetzt in den USA, um eine bloße Absichtserklärung handelt? Wenn also ein Bundesstaat beschließt, ein Medikament – hergestellt, um Leid zu lindern – zum Töten einzusetzen?
Wie sich der Missbrauch eines Medikaments verhindern lässt, hat die dänische Firma Lundbeck mit dem Rückverfolgbarkeitssystem gezeigt, mit dem es seinen Vertrieb kontrolliert. Warum führt Fresenius Kabi für Propofol nicht einfach etwas Ähnliches ein?
Bad Homburg, die Zentrale von Fresenius Kabi, einem der mächtigsten Gesundheitskonzerne Deutschlands, liegt in der Stadt, die einst Sommerresidenz der deutschen Kaiser war. Es ist der Ort, an dem auch Maya Foa den Chef des Unternehmens traf.
Professor Martin Westphal empfängt in einem Besprechungszimmer ohne Fenster nach draußen. Westphal ist der Chief Medical Officer von Fresenius Kabi, Ansprechpartner für medizinisch relevante Themen.
Aber vor allem, betont Westphal, vor allem sei er Anästhesist und Intensivmediziner, ein Mann mit zehn Jahren klinischer Erfahrung mit Narkosemitteln, bevor er dann, im Jahr 2009, den Krankenhausalltag in Münster hinter sich ließ und zu Fresenius Kabi wechselte: „Ich kann aus klinischer Sicht repräsentativ beantworten, welche Wirkung Propofol hat und warum es in der Klinik beliebt ist.“
Jede Silbe ein Beitrag zu der Glaubwürdigkeit, um die Fresenius Kabi gerade kämpft: Dass es hier einer Firma um das Wohl von Millionen Patienten gehe. Und erst dann um den Profit. Dass dieses Patientenwohl gefährdet sei, wenn Propofol plötzlich dem US-Markt nur noch mit Einschränkungen zur Verfügung stehe. Dass Fresenius Kabi darüber hinaus mit Henkern nichts am Hut habe.
Westphal gibt sich keine Mühe zu verbergen, wie sehr es ihn nervt, dass hieran irgendwer irgendwelche Zweifel äußern könnte: „Wir haben in der Vergangenheit kein Gefängnis beliefert, und werden es auch in Zukunft nicht tun. Es gibt Indikationen, für die Propofol zugelassen ist, um Patienten medizinisch zu versorgen. Hinrichtungen gehören nicht dazu. Punkt.“
Die Abgabe von Propofol lasse sich nicht nur wegen der schieren Menge schwer kontrollieren. Der Vertriebsprozess erstrecke sich über ein Netzwerk von Großhändlern, Krankenhäusern, Apotheken und Arztpraxen. Zum anderen hat Propofol in den USA eine Sonderstellung: Es ist ein Medikament, das immer und überall verfügbar sein muss, weil es als Narkosemittel auch bei Notfalloperationen eingesetzt wird. „Ich kann mir doch nicht erst in der Apotheke per Fax bestätigen lassen, dass ich berechtigt bin, dieses Medikament zu bekommen. In dieser Zeit ist mein Patient, der dieses Mittel akut braucht, womöglich verstorben“, ruft Westphal. Noch ein Unterschied zu dem regulierten Mittel Pentobarbital.
Fresenius’ Hauptkonkurrent Hospira hat seit Längerem Qualitätsprobleme in der Produktionskette, weswegen die US-Behörde für Lebensmittel und Medikamente Hospira die Vertriebserlaubnis für Propofol in den USA zwischenzeitlich entzog. Fresenius besitzt damit quasi ein Monopol. Martin Westphal sagt: „Man kann nicht einfach sagen, wenn Fresenius Kabi nicht mehr liefert, dann macht es von heute auf morgen halt jemand anders.“ Da ist sie wieder, die Verantwortung für den Patienten.
Säße Maya Foa ihm jetzt gegenüber, würde sie Martin Westphal sogar zustimmen. Aber sie würde sich damit nicht zufriedengeben. Wenn der Konzern seine Großhändler in Verträgen verpflichtete, das Medikament nicht an Gefängnisse weiterzugeben, wäre das weit mehr als eine Geste, mehr als Symbolpolitik. Sollten sich Behörden dann dennoch Propofol verschaffen, könnten Anwälte klagen, dass dies nur über Vertragsbruch zustande gekommen sei. Für zum Tode Verurteilte eine entscheidende Chance.
Warum tut die Firma das nicht einfach?
Sie hätten sich ja mit den Leuten von Reprieve, mit Maya Foa getroffen, sagt Martin Westphal. Es sei ja schließlich nicht so, dass Fresenius die Problematik nicht sehen würde und nicht daran interessiert wäre, sie möglichst schnell und geräuschlos aus der Welt zu schaffen.
Im Herbst wird Fresenius 100 Jahre alt. Es sind andere Schlagzeilen als solche über US-Todeszellen, die den Firmengeburtstag prägen sollen.
Sachgerechte Analyse von Lösungsmöglichkeiten
Und so sagt Westphal: „Wir halten nichts von Verkündigungsaktionismus zur reinen Imagepflege. Wir analysieren jetzt mit den Partnern die Situation sachgerecht und evaluieren dann Lösungsmöglichkeiten. Und über diese Lösungen sprechen wir dann öffentlich, wenn wir sie haben.“
In Brüssel eilt Maya Foya weiter mit dem kleinen schwarzen Rucksack durch die Stadt und kämpft darum, dass den Ankündigungen Entscheidungen folgen und Propofol wirklich auf die Antifolterliste der EU gesetzt wird.
In Missouri hat ein Gericht Mitte August entschieden, dass es für David Zink und die anderen Verurteilten so lange keine neuen Termine geben darf, bis die Propofol-Frage rechtlich geklärt ist.
In Texas, Arizona und Oklahoma sind im August drei Menschen hingerichtet worden. Texas und Arizona haben mittlerweile auf Pentobarbital umgestellt, das Mittel, das aus Europa nicht mehr legal zu bekommen ist.
Aber noch reichen die Vorräte.
■ Ruth Reichstein, 33, ist taz-Brüssel-Korrespondentin
■ Heike Haarhoff, 43, ist Gesundheitsredakteurin und Reporterin der taz
■ Johannes Gernert, 32, ist sonntaz-Redakteur und arbeitet momentan in Oakland in Kalifornien