Die Jazzkolumne: King, Stockhausen und Bowie
Der Multiinstrumentalist Tyshawn Sorey hat keine Lust, sich von den Neotraditionalisten in den Käfig des Kanons sperren zu lassen.
Geld interessiert ihn nicht besonders, er will lieber seine Ideen verwirklichen. Und herausfinden, was die sogenannten Meister des Jazz ihm noch zu sagen haben, am besten Verträge mit mehreren Tonträgerfirmen gleichzeitig machen, denn eine CD pro Jahr ist nicht genug für ihn. Der 27-jährige afroamerikanische Multiinstrumentalist Tyshawn Sorey hat jetzt nach diversen Tourneen und Aufnahmen mit Steve Coleman, Vijay Iyer und Billy Bang sein erstes eigenes Album herausgebracht.
"That/Not" dokumentiert sein junges Quartett mit dem Pianisten Cory Smythe, Thomas Morgan, Bass, und Ben Gerstein, Posaune, und ist, kurz gesagt, das beste, was die New Yorker Szene seit langer Zeit zu bieten hat. Es ist soeben beim Indie-Label Firehouse12 veröffentlicht worden und kann auf dessen Webseite auch angehört werdenhttp://www.firehouse12.com/. (s. Link) Titel wie "Sacred and Profane", "Thats A Blues, Right?" und "Cell Block" stehen für eine Musik, die Sorey selbst als höchst ungewöhnlich und neu beschreibt. Das 2-CD-Set beinhaltet eher ruhig gehaltene Stücke des Schlagzeugers Sorey, der sich hiermit ausdrücklich als Komponist vorstellen will. Seine Musik soll zwar die gesellschaftlichen Erfahrungen und psychischen Befindlichkeiten der beteiligten Musiker in Klang übersetzen, ein Rezeptionscode wird von ihm jedoch nicht vorgegeben. "Für mich gehören kreative Musik und Jazz zusammen, ich suche die öffentliche Aufmerksamkeit nicht in erster Linie. Ich habe Anthony Braxton wie auch Duke Ellington als sehr provokante Künstler wahrgenommen, das hat mich von Anfang an inspiriert, als Kind war ich immer sehr ungehalten und habe mich schon früh für schöpferische Prozesse interessiert", berichtet Sorey.
Die Liste der Leute, die ihn beeinflusst haben, ist entsprechend lang, sehr lang. Neben Martin Luther King Jr. und Luigi Nono nennt er auf seiner eigenen Webseite (s. Link) auch Karlheinz Stockhausen, David Bowie und den jungen deutschen Posaunisten Johannes Lauer. Vier beeindruckende Duo-Aufnahmen, die die beiden vor einem halben Jahr in New York machten, sind momentan ebenfalls im Internet zu hören (s. Link). Dass der junge Afroamerikaner mit einer solch illustren Referenzliste zwischen E und U und Schwarz und Weiß den neotraditionalistischen Jazzkanon am Lincoln Center bewusst ignoriert, liegt auf der Hand. "Ich lasse mich nicht von der traditionalistischen Kritik einschüchtern, ich bekämpfe mit meiner Musik und den Projekten, an denen ich teilnehme, eine Haltung, die einen in die Grenzen zwingt", sagt Sorey. "Ich respektiere sehr, was Louis Armstrong und Charlie Parker taten, und ich glaube nicht, dass es heute damit getan ist, sein Leben lang 'Donna Lee' zu spielen. Mir ist es wichtig, mich als Künstler und Mensch weiterzuentwickeln." Dass Sorey gerade an einer Auftragskomposition für ein Schlagzeug-Set arbeitet, die noch in diesem Frühjahr uraufgeführt werden soll, dokumentiert die zunehmende Aufmerksamkeit für seine künstlerische Arbeit. Wenn Tyshawn Sorey Klavier spielt, schaut er oft in Richtung Publikum - suchend und abwesend zugleich. Beim 10. New Yorker Vision Festival vor zwei Jahren war er mit einer Piano-Solo-Performance dabei, mit Vijay Iyers grandiosem Kammertrio Fieldwork konnte man ihn ebenda im vergangenen Jahr als Schlagzeuger hören; im Sommer 2006 gab er zudem in New York sein Debüt als Posaunist.
Im Gespräch äußert sich der Autodidakt Sorey, der nach wie vor mit einem Tagesjob in New Jersey sein Einkommen bestreitet, umsichtig und zurückhaltend. Er berichtet vom Unverständnis seiner Familie, die sich schon Sorgen gemacht habe, dass bei ihm im Kopf etwas nicht stimme, als er sich freiwillig in die prekäre Situation des avantgardistischen Künstlers begab. "Die ökonomische Situation für kreative Musiker hat sich im Lauf der Jahre auffallend verschlechtert", sagt Sorey, "es ist ein ständiger Kampf, und um in meiner Kunst unabhängig zu sein, ziehe ich es vor, mein Geld anderswo zu verdienen."
Dass bei dem für die von Sorey gespielte Musik sehr einflussreichen Vision Festival des afroamerikanischen Bassisten William Parker der Altersdurchschnitt jenseits der 50 liegt, findet Sorey problematisch, da er mittlerweile eine Reihe vielversprechender junger Improvisatoren auf der New Yorker Szene kennt. Er nennt unter anderem seinen Mentor Aaron Stewart. Stewart ist ein völlig unterschätzter Saxofonist und Komponist, der in New York lebt und, wie Sorey berichtet, ihm in vielen Diskussionen, stundenlangen Telefonaten und gemeinsamen Konzerten alles beigebracht habe, was man wissen muss, um als kreativer Künstler in den USA überleben zu können. Von der schwarzen Chicagoer Musikerorganisation AACM habe er zudem gelernt, dass man sich organisieren muss. "Vereinzelung bringt nichts, kreative Künstler müssen sich zusammenschließen, auch über große geografische Entfernungen hinweg", sagt Sorey. Zurzeit bringt er sich selbst Französisch und Deutsch bei, weil er inzwischen gute Kontakte in Paris und Köln geknüpft hat. Nach seinem 30. Geburtstag im Juli 2010 will er nach Europa umziehen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!