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Die Europäische Union könnte das gespaltene Irland einen

Schon jetzt betrachtet die EG Nordirland und die Republik Irland als Einheit / Im europäischen Rahmen wäre Föderation zwischen Irland, Schottland und Wales denkbar  ■  Aus Brüssel Bernard Conlon

Der Kollaps des Stalinismus in Osteuropa hat die traditionellen politischen Vordenker und Strategen verwirrt, die sich auf einen rigiden Status quo verlassen hatten. Auch in Irland - Nord wie Süd - wird es immer schwieriger, Orthodoxien und die gewohnte Rhetorik aufrechtzuerhalten. Selbst ein so provinzieller Ort wie Nordirland ist nicht immun gegen europäische Entwicklungen.

Das Bröckeln der Mauer in Berlin erfordert flexibles politisches Denken. Obwohl der schwebende Konflikt der Supermächte durch einen wiedererstarkten, beengenden Nationalismus ersetzt wurde, ist das politische Klima in Europa heute gesünder und aufregender, als es lange Zeit war. Heilige Kühe wie die Nato, die auf einer abstrakten „Abschreckung“ basiert, erscheinen langsam obsolet. Die Veränderungen im Osten haben die Definition von „Europa“ erweitert - hatte doch die Europäische Gemeinschaft bisher versucht, den Begriff auf ihre Mitgliedsländer zu beschränken. Auch Irland hat Definitionsprobleme. Die Republik Irland hat dafür gesorgt, daß sie in der EG „Irland“ genannt wird - im Gegensatz zu „Nordirland“. Ist von einem sozial und wirtschaftlich integrierten Irland die Rede, heißt es „die irische Insel“.

Die EG sieht Irland als Einheit. Im Rahmenplan 1989 bis 93 steht, daß Irland nach der Fertigstellung des Kanaltunnels 1993 „der einzige größere Teil der Gemeinschaft sein wird, der nicht über eine Landverbindung zu anderen Teilen der Gemeinschaft verfügt“. Das Papier mißt Grenzregionen jedoch besondere Bedeutung bei. Gerade wegen des politischen Konfliktes ist Nordirland zur „Zielgruppe eins“ erhoben worden: „Es ist wichtig, daß die EG zur Milderung der Folgen und im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu einer Lösung beiträgt.“ In diesem Zusammenhang werden Stadterneuerung, Umweltverbesserungen und Maßnahmen zur Förderung der Versöhnung erwähnt. Dahinter steht der Gedanke, daß soziale und wirtschaftliche Entwicklungsmaßnahmen logischerweise die Integration der Insel beinhalten müssen.

Das vor kurzem angekündigte INTERREG-Programm wird die Zusammenarbeit zwischen beiden Teilen Irlands weiter vorantreiben. Irische Geschäftsleute in Brüssel haben angedeutet, daß die Dubliner Regierung und das britische Nordirlandministerium sich bis Ende des Jahres auf ein gemeinsames Operationsprogramm für EG-Fonds einigen müssen. INTERREG, das den Zeitraum bis 1994 abdeckt, wird über ein Budget von 800 Millionen „Ecu (circa 1,65 Milliarden Mark) verfügen. Beamte der Kommission halten sich jedoch bedeckt, weil ein derartiges Programm, das die inneririschen Beziehungen verändern kann, sensible Punkte berührt.

INTERREG könnte zwar das neue EG-Paradestück in Irland werden, aber es hat bisher noch kein kreatives Denken geschweige denn Vorschläge - in Dublin ausgelöst. Enge Vertraute von Premierminister Charles Haughey gaben zu, daß man noch keinen Gedanken daran verschwendet habe.

Wegen der rasanten Veränderungen in Europa sind Vorhersagen schwierig. Die EG wird sich weiterhin zu konsolidieren versuchen. Mit der Absorption der DDR ist sie ohnehin eine Weile beschäftigt. Doch der Druck der osteuropäischen Länder und die mögliche Auflösung der Sowjetunion werden die Debatte über ineinandergreifende Föderationen und Konföderationen schüren.

Das Großbritannien der Nach-Thatcher-Ära wird seine Position in Europa neu bestimmen müssen. Spannungen aufgrund der Struktur dieses hochzentralisierten Staates werden nicht ausbleiben. Schottland zum Beispiel wird womöglich unter Umgehung Londons direkt mit Brüssel verhandeln wollen. So sind die Aussichten für eine Föderation innerhalb Irlands und zwischen Irland, Schottland und Wales - im breiten europäischen Rahmen - durchaus vorstellbar.

Nordirland und die südirischen Grenzgrafschaften bilden im Kontext des INTERREG-Programms eine natürliche Einheit für eine „besondere EG-Behandlung“. INTERREG könnte demnach die Basis für eine Repräsentation spezieller Regionen bieten, wobei Staatsgrenzen eine untergeordnete Rolle spielen. Innerhalb eines „fließenden“ Europa könnten die alten nationalistischen Schlagworte für ein vereintes Irland durch eine modernisierende Integration der Insel ersetzt werden.

Bernard Conlon ist der Brüsseler Korrespondent der Belfaster politischen Monatszeitschrift 'Fortnight Magazine‘.

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