Die Debatte um die Robbenjagd in Norwegen zeugt von Doppelmoral : Barbaren sind immer die anderen
Robben schlachtet man nicht ungestraft. Das müsste man in Norwegen mittlerweile eigentlich wissen. Die blutige Tierjagd produziert Negativschlagzeilen – vor allem dann, wenn sie nicht einmal ökonomisch Sinn macht. Denn das Fleisch der abgeschlachteten Robben endet oft genug als Katzenfutter, und ihre Felle landen im Verbrennungsofen. Doch auch das wird vermutlich nichts daran ändern, dass diese Jagd weitergeht. Muss nicht der Fischbestand als Argument herhalten, der angeblich durch die Robbenjagd geschützt wird, dann ist es im Zweifel die traditionelle Kultur, die es zu verteidigen gilt – und die man sich von Kritik aus dem Ausland schon gar nicht in Frage stellen lässt.
Doch die Debatte ist auch von einer merkwürdigen Doppelmoral geprägt. Denn die Barbaren sind natürlich immer die anderen. So spielte sich vor einigen Jahren ausgerechnet der schwedische Monarch als Robbenschützer auf und verstieg sich gar zur Behauptung, dass eine Ministerpräsidentin, die die Robbenjagd nicht verbieten könne, nicht dazu tauge, das norwegische Volk zu regieren. Dabei zieht der schwedische König selbst mehrmals jährlich in die Wälder, um Elche, Hirsche und Hasen zu jagen, die ihm vor die Flinte getrieben werden. Viele NorwegerInnen haben deshalb nicht ganz zu Unrecht das Gefühl, dass es nur an den süßen Kulleraugen der Robben liegt, dass sie an den internationalen Pranger kommen, oder an den Farbkontrasten: brauner Elch auf braunem Waldboden ist weniger spektakulär als rotes Robbenblut auf weißem Schnee.
Auch in England gibt es einen Aufschrei, wenn man den Briten ihre Fuchsjagd nehmen will, und die Finnen finden die EU gar nicht mehr gut, seit Brüssel ihnen das Schießen von Wölfen verbietet. So schauen Elche jagende Schweden voller Verachtung auf Robben jagende Norweger und umgekehrt. Logische Argumente treffen da auf taube Ohren. Was nicht heißt, dass man auf Proteste verzichten sollte. Aber solange angeblich „ewige und unverzichtbare Traditionen“ nicht von den Gesellschaften selbst in Frage gestellt werden, prallt die Kritik von außen ab. REINHARD WOLFF