Die Bundesregierung macht unzulässig Politik mit der Geburtenrate : Kind kriegen ist Privatsache
Schon interessant, wie das Thema „Geburtenrate“ derzeit in Deutschland verhandelt wird: In bundesweiten Listen werden geburtenstarke Orte hervorgehoben, auf Landkarten besonders kinderreiche Gebiete dunkel eingezeichnet. Es scheint, als habe die Reproduktionsquote inzwischen eine ähnliche Bedeutung wie das Produktivitätswachstum in der Wirtschaft erreicht.
Der neue „Familienatlas“ für Deutschland passt in diesen Trend. Es soll kein „Ranking“ sein, heißt es ausdrücklich im Familienministerium. Doch genau so wird es natürlich verstanden: Na, welche Region, welcher Ort macht sich denn nun besonders verdient um den Fortbestand der Bevölkerung in Deutschland? Die wichtigste Aussage des Atlas ist recht allgemein: Dort, wo die Wirtschaft den Menschen eine stabile Perspektive bietet, sind auch die Geburtenraten relativ hoch. Hätte man sich fast denken können.
Im Detail bringt es wenig, besonders „geburtenstarke“ Orte hervorzuheben, auch das lehrt der Familienatlas. „Kinderfreundlichkeit“ lässt sich nicht so leicht messen: Viele Familien leben in „Pendler“-Gemeinden, in denen die Betreuungseinrichtungen nicht besonders gut, dafür aber die Wohnqualität hoch ist. Und die vergleichsweise gute Kinderbetreuung in den Ostländern konnte bekanntlich nicht verhindern, dass die Geburtenrate dort absackt.
Als PR-Aktion, um die eine oder andere Region dazu anzuregen, mehr Kinderbetreuungseinrichtungen und mehr Teilzeitarbeitsplätze zu schaffen, mag der „Familienatlas“ gut sein. Zu beachten ist jedoch eine Verschiebung in der öffentlichen Diskussion, die mit der erstmaligen Herausgabe eines solchen „Familienatlas“ verbunden ist: Damit wird nämlich implizit die „Kinderquote“ mit einer Aussage über die „Lebensqualität“ in einer Region gleichgesetzt. Das Kinderkriegen wird damit funktionalisiert.
Das ist bedenklich, weil das Kinderhaben und auch das Kindernichthaben eben letztlich doch Privatsache ist. Ein Rest an Nichtfunktionalisierbarkeit sollte bleiben. BARBARA DRIBBUSCH