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Archiv-Artikel

■ Die Berliner Kunst-Werke zeigen eine Ausstellung über die RAF. Die taz interviewte Bettina Röhl, Tochter von Ulrike Meinhof, dazu Unverdauter Mutter-Kind-Komplex

betr.: „Über diese Ausstellung lacht sich die RAF doch tot“, taz vom 7. 2. 05

Wenn ich den leicht durchschimmernden Generationenkonflikt beiseite lasse, der Frau Röhl etwas ruppig antworten lässt, dann will ich Frau Röhl Recht geben.

Will ich heute der RAF und anderen politischen Bewegungen der Vergangenheit gerecht werden, dann reicht es nicht aus, Bilder und Kommentare dieser Zeit zu recherchieren. Das hat schon die Diskussion über Joschka Fischers Wirken in Frankfurt gezeigt. Dabei kommt allenfalls heraus, wie wenig die damalige Gesellschaft das jeweilige Geschehen reflektiert hat.

Sachliches aus meiner Sicht: Die so genannte 68er Bewegung war keine Bewegung in der Gesellschaft, sie fand nur im universitären Raum statt. Der Versuch, die Gesellschaft zu bewegen, ist gescheitert. An den Hochschulen war die RAF eine Kleinstgruppe, selbst in Frankfurt und Berlin. Interessant für mich zu fragen, war die Schwäche der RAF ein Grund dafür, in den Untergrund zu gehen?

Die Analysen der RAF der Anfangszeit über die Industriegesellschaft treffen heute eher zu als damals. Frau Röhl hat Recht, die Bundesrepublik war damals weniger als heute ein Polizeistaat. Die Bundesrepublik war jedoch ein Obrigkeitsstaat, das hat auch die SPD-Regierung zunächst nicht ändern können. Die Verwechslung dieser beiden Begriffe kann schon geschehen, wenn man selbst Erfahrungen mit der Polizeiarbeit der damaligen Zeit sammeln durfte: Kontrolle des Postverkehrs mit der DDR durch den Frankfurter Zoll – Schutzbehauptung: Es könne Zollpflichtiges in den Briefen sein! Übergabe der geöffneten Post an die Staatsanwaltschaft. Straßenkontrolle mit MPs im Anschlag, Polizei stürmt das vollbesetzte Frankfurter Szenelokal „Sinkkasten“ mit vorgehaltenen MPs, demonstrierende Studenten werden von Polizeikette kopfüber die Treppe des Amtsgerichts Darmstadt hinuntergeworfen … Dies alles geschah im „roten“ Hessen!

Die Freiheit der Journalisten wurde von Interessen der politischen Fraktionen begrenzt. Das hinderte die Journalisten allerdings nicht daran, wesentlich mehr Inhalt zu erarbeiten, als sie das heute tun. taz natürlich, bis auf kleine Ärgernisse, ausgenommen!

BRINK CARSTEN DIETRICH, Gauting

Zustimmend habe ich das Interview mit Bettina Röhl aufgenommen. Es ist in der Tat schon ein großes Ärgernis, wie angeblich sich für intellektuell und fortschrittlich haltende Nachkommen wegsehen. Über jedes Zuviel an Milligramm Schadstoff in der Luft wird die Nase gerümpft, Kleidung, Essverhalten, Kindererziehung unterstehen hohen moralischen Grundsätzen, nur wenn es um die RAF geht, lassen sie ein Andererseits zu. Vielleicht habe ich den Begriff Nachhaltigkeit falsch verstanden. Ich werde es immer wieder sagen, eine Figur wie Baader war nur ein dummes, primitives, kriminelles, Frauen wie Männer unterdrückendes waffengieriges Scheusal. Wie wäre es denn, wenn heute so einer mit geklautem Auto, natürlich ohne Führerschein, da hätte er ja mal drei Sätze lernen müssen, in einen Kindergarten rast? Ach so, ich vergaß, der geborgte Guerillakampf fordert eben seine Opfer. HARALD SOLMSEN, Wachtendonk

Das, was Bettina Röhl da zu erkennen gibt, zeugt eher von einem unverdauten Mutter-Kind-Komplex als von einer aufgeklärten Auseinandersetzung mit linker Radikalgeschichte. Als die RAF gegründet wurde, war Tochter Bettina gerade mal acht Jahre alt, wodurch sich die Definition Zeitzeuge schon einmal sehr relativiert.

Wenn das, was Bettina Röhl hier bezüglich der RAF zum Besten gibt, aufgeklärter Journalismus sein soll, so muss sie sich der Kritik stellen, die Wege, die zur Gründung dieser kriminellen Vereinigung führten, einfach ignoriert zu haben. Hätte sie die Texte ihrer Mutter, welche in der Konkret abgedruckt wurden, und den Inhalt des Buches „Bambule“ in die Geschichte der Radikalisierung mit einbezogen, so müsste ihr klar werden, dass es hier um den Versuch der Vergangenheitsbewältigung ging, wo doch auch klar war, dass diese Vergangenheit/Geschichte noch nicht zu Ende war.

Ulrike Meinhof tauschte, aus Resignation, ihre Schreibmaschine gegen eine Schusswaffe, was sicherlich ein schwerer Fehler war. Zum einen, weil sich Menschenrecht nicht mit Gewalt erzwingen lässt, zum anderen, weil sich hier eine Minderheit anmaßte, die ahnungslose Mehrheit mit Gewalt zur Wahrheit zu zwingen. Einer menschenverachtenden Gewalt, welche als Notwehr missinterpretiert wurde, der erste Tote war zwar das Werk der Staatsmacht, aber keineswegs die Legitimation zum Töten.

Gerade weil in dieser Zeit des Demonstrierens erstmals eine Generation nach der Verantwortung der Väter fragte, welche einen organisierten Massenmord mitbetrieben hatten, gerade weil auch klar wurde, dass hohe staatstragende Ämter und Professuren von ihnen immer noch besetzt waren, erzeugte das die Früchte eines Zorns, welche die unheilvolle Saat der RAF mit aufgehen ließ. Den alten Mythos von David gegen Goliath, ihn verklärten eine Hand voll Linke, welche letztlich auch deshalb zur Gewalt griffen, da ihnen der Hass schon so weit zu Kopfe gestiegen war, dass sie in Gestalten wie Baader und Mahler etwas zu erkennen glaubten, was sie eben nicht waren – „konsequente Linke“. PETER GABLER, Bruchweiler