piwik no script img

Der Kommentar

Deutschland und Russland Nawalny oder Putin-Kleptokratie?

Die Bundesrepublik muss sich gegen die SPD-Politiker Schröder und Schwesig durchsetzen – und die Nord Stream 2-Partnerschaft mit Putin beenden.

Tausende von Menschen gingen in ganz Russland auf die Straßen, um gegen die Inhaftierung des Kremlkritikers Nawalny zu protestieren Foto: dpa

Von UDO KNAPP

Gerhard Schröder wurde dieser Tage in der Rheinischen Post gefragt, wie er die Verhaftung Alexei Nawalnys und die Demonstrationen für seine Freilassung bewerte. „Mir geht es nicht um tagesaktuelle Diskussionen, sondern um grundsätzliche Richtungsentscheidungen“, sagte der frühere SPD-Bundeskanzler. „Wir Deutschen müssten ein Interesse daran haben, dass Russland eine eigene Identität und eine eigene ökonomische Kraft entwickelt.“ Und: „Wir müssen Russland nicht als Gegner, sondern als potentiellen Partner betrachten.“

Russland wurde nach dem Zusammenbruch seiner kommunistischen Staatsdiktatur unter der Führung der Nomenklatura der KPdSU und seiner Militärs in eine Kleptokratie mit staatsautoritärer Absicherung hinter einer demokratischen Fassade umgebaut. „Wir haben ein absolut gehorsames Parlament, servile Gerichte und ein Staatsfernsehen, das rund um die Uhr die Taten des Zaren preist“, schrieb der Schriftsteller Victor Jerofejew in der FAZ. Der Zar ist Wladimir Putin.

Die Omon-Sondereinheiten des Innenministeriums, der FSB (der russische Inlandsgeheimdienst), die Nationalgarde und die Polizei haben einen Gewaltapparat an der Seite Putins aufgebaut, der mit Willkür und Gewalt für Ruhe und Ordnung sorgt. Russlands wirtschaftliches Wohlergehen hängt vom Ausverkauf seiner fossilen Rohstoffe und den Preisen ab, die sie dafür am Weltmarkt erzielen. Russland setzt seine Rohstoffe als politische Waffe ein, was im Gas-Streit mit der Ukraine im Winter 2005/06 mit Folgen für ganz Europa zu erleben war. Russland versucht mit digitalen Instrumenten, die westlichen demokratischen Länder zu destabilisieren. Russland versucht mit einer aggressiven Außenpolitik, seine alte sowjetische Gestalt, seine Weltmachtgeltung wiederherzustellen. Der Krieg in Tschetschenien, die Annexion der Krim, der Krieg im Donbass, die aktive Unterstützung Assads in Syrien, der Ausbau militärischer Stützpunkte im Mittelmeer sind dafür Beispiele.

Nawalnys Verhaftung löst weitreichende Proteste aus

Seit der Vertreibung Michail Chodorkowskis ins westliche Asyl 2013 und der Ermordung des breit anerkannten liberalkonservativen Politikers Boris Nemzows im Februar 2015 gab es in Russland faktisch keine Opposition mehr. Die russische Bevölkerung trägt die Herrschaft ihrer kleptokratischen Meritokratie geduldig, nicht offen unzufrieden und aktiv mit. Eine revolutionäre Aufbruchsstimmung, eine breite und aktive Abwendung vom herrschenden Kleptokratensystem war bisher nicht auszumachen.

Bis Alexei Nawalny die politische Bühne betritt. Mit antiautoritärer Phantasie und dem lustvollen Brechen des Beschweigens der Herrschaftskultur in Russland erweckt er Zustimmung und gewinnt Respekt. Bis es dem autoritären Systemen zu viel wird. Nawalnys Unterhose wird mit dem Nervengas Nowitschok behandelt, was ihn fast umbringt. Er wird von der Bundesrepublik gerettet. Wiederhergestellt legt er mit einem 100 Millionen mal geklickten Video nach, in dem er Putin vorwirft, sich für über eine Milliarde Euro einen Palast am Schwarzen Meer gebaut zu haben. Bei seiner Rückkehr nach Russland wird er am Flughafen wieder verhaftet.

Diese Verhaftung verändert die Lage. Nawalny eröffnet mit seiner Rückkehr und der Verhaftung seinen persönlichen Kampf auf Leben und Tod mit den Herrschenden in Russland. Zehntausende in ganz Russland, vom Pazifik bis zur Ostsee, verlangen mit aufgeflaggten Unterhosen und Kopien der goldenen Klobürsten aus Putins Palast seine Freilassung. Natürlich wird von den Sicherheitsorganen versucht, diese Demonstrationen mit aller Gewalt und Repression zu unterdrücken.

Schröders moralisches Versagen

Hat Nawalny eine Chance zu überleben, wenn er sich weiter jeder Ausbürgerung aus Russland verweigert? Kaum.

Sollen die Bundesrepublik und die EU der Empfehlung des früheren Kanzlers Schröder folgen und trotz dieser Realität der russischen Politik mit Russland als potentiellem Partner zusammenarbeiten? Also Nawalnys zu erwartende Hinrichtung schon jetzt ins strategische Tableau der europäischen Politik gegenüber Russland einpreisen?

Schröders moralisches Versagen, seine Arbeit als Aufsichtsratsvorsitzender bei Rosneft und direkt an der Seite Putins – das ist seine Sache und die seiner SPD.

Die Russen sind in ihrem Kampft für demokratischen Freiheiten auf sich gestellt

Manuela Schwesigs Komplizenschaft mit Gazprom beim Aushebeln der amerikanischen Interessen ist ihre landespolitische Angelegenheit. Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern nutzt die demokratiefeindlichen Ressentiments der Bürger an der Ostseeküste, die sich in offener Putinfreundschaft zeigen, für ihre Wiederwahl im Herbst. Warum sollte sie ein mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgreiches Wahlkampfnarrativ nicht benutzen? Irgendwie müssen Sozialdemokraten doch noch Wahlen gewinnen.

Schröders wie auch Schwesigs Interessen sind bei der grundsätzlichen Frage nach dem Verhältnis der Bundesrepublik und Europas zu Russland zweitrangig. Erstrangig dagegen ist die Frage, wie in Zukunft dieses Verhältnis zu dem freiheits- und demokratiefeindlichen Russland gestaltet werden soll.

Sollten in Russland tatsächlich revolutionsähnliche Veränderungen in Gang kommen, wäre es unrealistisch, anzunehmen, dass die Bundesrepublik sich mit mehr als wohlklingenden Phrasen und symbolischen Gesten an die Seite der dann Aufständischen stellen würde. Die Russen wie die Weißrussen werden ihren Kampf für ihre demokratischen Freiheiten alleine ausfechten müssen.

Europa braucht eine Politik der Stärke

Aber weder die Bundesrepublik noch Europa brauchen für ihre Zukunft als strategischen Partner ein Russland, das die freiheitliche Gesellschaften des Westens verachtet und destabilisiert. Die Kleptokraten um Putin müssen spüren, dass sie in der gesamten EU ein Gegenüber haben, mit dem sie nicht nach Belieben Schlitten fahren können. Für dieses Ziel wird eine Politik der Stärke auf allen Ebenen gebraucht. Angefangen bei dem militärischen Ausbau der Ostflanke der Nato, über das Lockern all jener ökonomischen Verflechtungen mit Russland, die dort für die Stabilisierung der Putin-Herrschaft und die Unterdrückung der von Freiheit träumenden Teilbevölkerung genutzt werden können, bis hin zu einer konkreten Absicherung der dort politischen Verfolgten und Kämpfenden.

Es muss also für die Bundesregierung und auch die SPD aus Gründen höherrangiger Interessen möglich werden, Herrn Schröder und Frau Schwesig von ihrer Partnerschaft mit Putin abzubringen.

Nord Stream 2 wird energiepolitisch nicht gebraucht, es hält die Energiewende auf. Nord Stream 2 ist auch ökologiepolitisch ein Fehler. Aber als politisches Projekt zur Stabilisierung der Putinschen Kleptokratie ist es Verrat an der Freiheitsliebe vieler, vor allem junger Russen. Diesen Menschen, die jetzt auf der Straße an der Seite Nawalnys stehen, könnte das Ende von Nord Stream 2 signalisieren, dass der Westen wenigstens im Herzen an ihrer Seite steht.

UDO KNAPP ist Politologe. Er war für die SPD stellvertretender Landrat von Rügen, Mecklenburg-Vorpommern.