Der Wochenendkrimi : Überwinden und Strafen
„Tatort: Gebrochene Herzen“, So., 20.15 Uhr, ARD
Hat es Sinn, dass Opfer mit ihren Peinigern sprechen? Fünf Jahre nach dem Mord an ihrem Mann bittet der Täter Kommissarin Klara Blum (Eva Mattes) um ein Treffen. Fünf Jahre nachdem er die damals zehnjährige Leonie vergewaltigt hat, versucht sich auch der Gewaltverbrecher Matthias Hecht seinem Opfer über Briefkontakt zu nähern. Ob es sich dabei um einen ernsten Aufarbeitungsversuch oder um eine zynische Einschüchterungsmaßnahme des einsitzenden Kinderschänders handelt, erfährt der Zuschauer nicht mehr – bei seinem ersten Freigang wird Ersterer ins Koma geschossen; der ebenfalls getroffene Schutzbeamte stirbt am Tatort.
Die Langzeitfolgen des Gewaltverbrechens sind das Sujet dieses ambitiösen SWR-Krimis (Buch: Dorothee Schön, Regie: Jürgen Bretzinger). Das Opfer und seine Mutter sind auch noch fünf Jahre nach Hechts Tat traumatisiert, die Familie des Vergewaltigers hat sich vom Sohn längst abgewendet. Nur eine Person glaubt an dessen Resozialisierung: die ehrenamtliche Gefängnisbetreuerin Maria Eichhorn (Annika Kuhl). Sie vertritt die Meinung, dass man die eigene Opferrolle nur in der Konfrontation mit dem Täter überwinden kann. Sie selbst wurde einst von ihrem Onkel missbraucht, den sie nun als Altenpflegerin in einem Seniorenheim umhegt. Die geplante Heirat mit Gewaltverbrecher Hecht sollte nun den ultimativen Frieden mit dem anderem Geschlecht bringen.
Das Reizthema Resozialisierung wurde vor einiger Zeit auch in der „Bella Block“-Episode „Die Freiheit der Wölfe“ aufgegriffen, auch hier rückte bald das Tätergroupie (kühl und klug von Katrin Saß gespielt) in den Fokus der Ermittlungen. Die weibliche Identifikation mit dem Aggressor setzt eben eine Menge Erkenntnisse über die Tat frei. Doch während in der doppelbödigen „Block“-Inszenierung tatsächlich lieb gewordene Klischees vom Strafen und Heilen auf den Prüfstand gestellt worden sind, vermittelt dieser „Tatort“ trotz aller Aufarbeitungsrhetorik ein zutiefst archaisches Gerechtigkeitsempfinden: Wieso mit dem Täter sprechen, wenn er doch im Koma seiner Umwelt am zuträglichsten ist? CHRISTIAN BUSS