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Archiv-Artikel

Der Scheibe-Wischer (1) Tucholsky, Böll & das Celler Loch

Zwischen den Jahren gewährt der Rechtsberater der taz, Peter Scheibe, einen Einblick in die Abgründe des deutschen Presserechts.

Ein „tödlicher Irrtum“ war es zwar nicht, wie Butz Peters seine „Geschichte der RAF“ betitelte. Aber immerhin ein Irrtum. Nachdem in der taz eine Besprechung des RAF-Buchs von Butz Peters erschien, begehrte der Autor über einen Kollegen seiner auch auf Presserecht spezialisierten Kanzlei die Unterlassung einer Aussage. Der taz-Rezensent hatte bemängelt, dass die unter dem Schlagwort „Celler Loch“ bekannt gewordene und seinerzeit vom Verfassungsschutz initiierte Gefangenenbefreiung „nur beiläufig als ‚merkwürdige Aktion‘ erwähnt wird“. Allein das wollte Butz Peters so nicht stehen lassen und meinte, das Celler Loch eben nicht als „merkwürdige Aktion“ oder nur „beiläufig“ erwähnt zu haben.

Nun mag man sich darüber streiten, ob es sich bei dieser Einordnung um eine Tatsachenbehauptung oder eine Meinungsäußerung handelt. Dies lässt sich mit Hilfe eines anderen Buchs von Butz Peters klären: „Medienrecht“, verfasst zusammen mit dem Promianwalt Matthias Prinz. Wichtig ist die Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung dafür, ob eine Aussage überhaupt unterlassungsfähig ist. Denn nur auf ihren Wahrheitsgehalt hin objektiv überprüfbare Aussagen sind vom Unterlassungsanspruch erfasst, während eine Meinungsäußerung als subjektives Werturteil durch die Meinungsfreiheit geschützt ist – solange es sich um keine Schmähkritik handelt.

Die Grenzen sind freilich fließend: Im Vorwurf „grob fehlerhafter Statistiken“ oder der Durchsetzung einer Stiftung mit „Alt- und Neufaschisten“ sah der Bundesgerichtshof Tatsachenbehauptungen. Das Bundesverfassungsgericht hingegen gestand dem Tucholsky-Zitat „Soldaten sind Mörder“ nach anders lautenden Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu, nicht die Soldaten der Bundeswehr als Schwerkriminelle zu bezeichnen, sondern eine wertende Missbilligung jeglicher Tötung zu enthalten. In der Bezeichnung Heinrich Bölls als „steindummer, kenntnisloser, talentfreier Autor“ und „teils pathologischer, teils harmloser Knallkopf“ oder einer Fernsehansagerin als „ausgemolkene Ziege“ sahen die Karlsruher Richter eine Schmähkritik als ausnahmsweise unzulässige Meinungsäußerung.

Selbst wenn man aber im „beiläufig erwähnten Celler Loch“ eine Tatsachenbehauptung sehen will, wäre eine Unterlassung nur durchsetzbar, wenn die Aussage objektiv falsch ist. Hier genügt ein Blick in das Register der „Geschichte der RAF“: Gleich nach Fidel Castro mit zwei Nennungen findet sich das Celler Loch mit einem einzigen Verweis. (Damit steht es immerhin der ebenfalls einmalig bedachten Inge Meysel nicht nach, welche terroristischer Umtriebe freilich eher unverdächtig war, sieht man mal von ihrer Fernsehpräsenz als „Mutter der Nation“ ab.) Schlägt man die im Register genannte Seite auf, füllt der Absatz über das Celler Loch ein Drittel. „Beiläufig“ oder nicht – in einem 850-Seiten-Wälzer?

Immerhin sei zu seiner Ehrenrettung erwähnt, dass auch Butz Peters noch mal in seinem anderen Buch nachgeschlagen und nach Abmahnung der taz die Sache nicht weiterverfolgt hat.