Der Physiker als struktureller Idiot

ORGONLOUNGE Der Astrophysiker Illobrand von Ludwiger über Burkhard Heims dissidentische Quantentheorie

Von Charles Darwin über Ernst Mayr bis zu Georges Canguilhem lässt sich der Bogen derer spannen, die Physiker, wenn es ums Leben geht, strukturell für Idioten halten. Denn Physiker suchen nach Ordnungsprinzipien, aus denen sie Gesetze ableiten, wo biologische Phänomene doch dem Zufall entspringen

VON CORD RIECHELMANN

Was ist Leben?, fragt eine Veranstaltungsreihe im Grünen Salon in der Volksbühne. Präsentiert wird sie von der Wilhelm-Reich-Gesellschaft e.V. in Zusammenarbeit mit dem Grünen Salon als „orgonlounge“. Der Begriff orgonlounge ist die Kombination aus dem Orgon des Psychoanalytikers Wilhelm Reich und der klassischen Lounge. Lounge meint, dass die Vorträge der Reihe in ein musikalisches Rahmenprogramm gestellt werden. Und Orgon steht für die Lebensenergie, die alle Lebensprozesse antreibt und für die Reich meinte physikalische Gründe gefunden zu haben.

Damit aber ist man mittendrin im Problem des Vortrags, den der Astrophysiker Illobrand von Ludwiger am vergangenen Donnerstag unter dem Titel „Auf der Suche nach der Weltformel“ gehalten hat. Es gibt nicht wenige Biologen und Philosophen, die sich mit den Wissenschaften vom Lebendigen beschäftigen, die der Physik die Zuständigkeit für biologische Phänomene absprechen. Von Charles Darwin über Ernst Mayr bis zu Georges Canguilhem lässt sich der Bogen derer spannen, die Physiker, wenn es ums Leben geht, strukturell für Idioten halten. Denn Physiker suchen nach Ordnungsprinzipien, aus denen sie Gesetze ableiten, die den planvollen Aufbau der Natur in ein vorhersagbares Ganzes der Welt betten.

Die genannten Biologen und Philosophen bestreiten aber genau das: Für sie sind biologische Phänomene prinzipiell für die Zukunft unberechenbar, sie entspringen dem Zufall und nicht einem Plan, der einem Naturgesetz folgt. Leben ist bei ihnen das, was zum Irrtum fähig ist, was sich über den Fehler repliziert und verändert.

Auch deshalb spielt der Lebensbegriff in der modernen Biologie kaum eine Rolle. Die Biologie hat keine Schwierigkeiten mit dem scheinbaren Widerspruch zwischen der potentiellen Unsterblichkeit ihrer grundlegenden Struktur, der Replikation und damit Vererbung, und dem notwendigen Tod des Individuums.

Die Physik aber schon, ihr geht die Unberechenbarkeit auf die Nerven. Da die orgonlounge sich aber programmatisch gegen das herrschende Paradigma der Naturwissenschaften wendet, und damit natürlich auch gegen die Physik, konnte man auf Ludwigers Ausführungen zur „Quantenfeldtheorie und ihrer Bedeutung für die Biologie“ gespannt sein. Der Abend begann dann auch vielversprechend in Richtung des altehrwürdigen Irrtums- und Zufallsparadigmas der Evolutionstheorie. Die Jazz Lyrics, die Kevin Kasmi am Piano, Harald Mahl am Tenorsaxofon und Andreas Waelti am Kontrabass vortrugen, waren beste Jazzimprovisation auf der Basis des wiederholten Fehlers im Sinne von Thelonius Monk. Was schon mal gute Laune machte.

Was Ludwiger dann aber über Physik, Leben und den Physiker Burkhard Heim vortrug, stand nur in einem Punkt dem Jazz nahe: in seiner Crazyness. Ludwigers Vortrag war im Wesentlichen eine Lebensbeschreibung Heims. Burkhard Heim (1925–2001) gilt als großer Außenseiter der Quantentheorie. Hochbegabt kam er früh mit Werner Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker, den deutschen Stars der Atomphysik, in Kontakt. Nachdem Heim aber bei einem Unfall beide Hände, Seh- und Hörkraft abhanden gekommen waren, wollte Weizsäcker ihn entlasten und übertrug ihm nur noch einfache Aufgaben an seinem Institut in Göttingen. Heim quittierte darauf den Dienst, wurde Privatgelehrter und brauchte dann nicht wie ein institutionell eingebundener Physiker zehn Jahre für seine Version der Quantenfeldtheorie, sondern dreißig. Und diese Theorie haben bis heute nur sehr wenige Leute gelesen und noch weniger verstanden, wie Ludwiger sagte, und daran hat sein Vortrag nichts geändert. Deshalb kann hier auch nicht darüber geurteilt werden, ob das ein Fehler ist oder nicht.

Spannend war aber etwas anderes: nämlich die Feststellung, das sich in der Physik die Dissidenten nur unwesentlich von den Etablierten unterscheiden, was man an drei Punkten nachvollziehen konnte. Physiker bauen gern Bomben. Robert Oppenheimer gilt als Vater der Atombombe, Edward Teller als der der Wasserstoffbombe und Heim verlor seine Hände 1944 bei der Vorführung eines von ihm für die Nazis entwickelten Sprengstoffs. Physiker hassen den Zufall. Wie für Einstein, Heisenberg und von Weizsäcker würfelt die Natur nicht. Bei Heim läuft das auf ein Postulat einer fünften und sechsten Dimension hinaus, in der all das planvoll organisiert wird, was Biologen, Philosophen und Stéphane Mallarmé als Zufall bezeichnen und wir in Unkenntnis Heims nur noch nicht erkannt haben. Woraus drittens folgt: Physiker bleiben auch als Dissidenten nach diesem Abend, wenn’s ums Leben geht, strukturell Idioten. Was aber lustig war.