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Archiv-Artikel

crime-scene Der Krimi als postmoderner Heimatroman: Neues von Pierre Magnan, Valerio Varesi und Oliver Bottini

Krimiautoren mit literarischem Anspruch lieben die Provinz – nicht die Metropole. Die Geheimnisse der Menschen liegen hier tiefer, schon weil sie noch immer die Geheimnisse ganzer Familien, einer Abfolge von Generationen sind, die in eine Vergangenheit zurückreicht, wie sie die Stadt nicht kennen kann. Der Umgang der Leute, ihre Gespräche, ja ihre Sprache selbst gehorchen komplizierten Rücksichtnahmen, da die Netzwerke älter und von existenziellerer Natur sind als in der Stadt. Es fehlt der Raum, auszuweichen. Notwendigerweise zeichnet die Ermittlungen eine gewisse Behutsamkeit und Trägheit aus, was dem Erzählen selbst und seiner Logik zugutekommt. Ausgerechnet für dieses Erzählen aber scheinen die Berge unverzichtbar: Der literarisch ambitionierte Kriminalroman tritt als postmoderner Heimatroman auf. Pierre Magnans Kommissar Laviolette etwa plagt sich in den Alpen herum, konkret: den Basses Alpes der Provence, wo der Autor 1922 geboren wurde. Auch Laviolette ist nicht mehr der Jüngste. Längst pensioniert, hilft er nun seinem Freund, dem Untersuchungsrichter Chabrand, aufzuklären, wer „Der Mörder mit der schönen Handschrift“ ist, wer also die Briefe schreibt, deren Empfänger ermordet werden. Die Geschichte reicht tief in die Vergangenheit, in bitterste Armut, entsprechende Gier und barbarischen, bäuerlichen Geiz. In großem stilistischem Variationsreichtum schneidet Magnan melancholische Stillleben gegen bizarre Mordszenarien und steigert verhalten, aber umso nachdrücklicher mit groteskem Witz, herrlichem Chauvinismus und rauer Resignation die Spannung.

 Barbarischer, bäuerlicher Geiz liegt auch dem neusten Fall von Commissario Soneri zugrunde, den Valerio Varesi in Parma ermitteln lässt. Auch hier, im Fall der ermordeten Pensionsbesitzerin Ghitta Tagliavini, führt die Spur in die Berge. Ghitta – als junge Frau schwanger von einem verheirateten Mann – wurde aus ihrem Dorf in den Apenninen vertrieben, was sie dessen Einwohnern später grausam heimzahlt. Wie schon in „Der Nebelfluss“, Soneris erstem Fall, entwirft Varesi erneut ein faszinierendes Bild aus Seelenlage und Witterung. Die elegische Schönheit von Parma im Nebel lässt hässliche Baukorruption und Erpressung zunächst nicht erkennen, so wenig wie die vermeintliche Ehrbarkeit Ghittas ihre kriminelle Energie. Selbst Soneris Vergangenheit liegt im Nebel, der nur langsam der Erinnerung an seine vor Jahren verstorbene Frau weicht, an die Politik der bleiernen Zeit.

 Politik, Terrorismus und Berge verbinden „Im Sommer der Mörder“, der sich in Kirchzarten, im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald, zuträgt, Landes- mit der Weltpolitik. Oliver Bottinis dritter Roman um seine angeschlagene alkoholkranke Hauptfigur, die Freiburger Kommissarin Louise Boni, hat seinen Anlass in einem brennenden Holzschuppen, der während der Löscharbeiten plötzlich explodiert, wobei ein Feuerwehrmann umkommt. Die Quellen des geheimen Waffenlagers in der Provinz, auf der Bergwiese am Ortsrand von Kirchzarten, finden sich im internationalen Terrorismus, im zerfallenden Jugoslawien der Neunzigerjahre wie im heutigen Pakistan. Bottini situiert den postmodernen Heimatroman gleich im globalen Dorf, glaubwürdig, denn er kann schreiben. In Halbsätzen gelingt es ihm, Atmosphäre und Charaktere zu zeichnen. Ohne thematische und szenische Ausflüge zu machen, die für den Plot und seine Protagonisten nicht wichtig sind, gewinnt er Raum für eine konzentrierte, dichte Schilderung der Ermittlung und der Ermittelnden: stringent, brillant. BRIGITTE WERNEBURG

Pierre Magnan: „Der Mörder mit der schönen Handschrift“. Aus dem Französischen von Jörn Albrecht. Fischer Taschenbuch, Frankfurt/Main 2006, 432 S., 8,95 Euro Valerio Varesi: „Die Pension in der Via Saffi“. Aus dem Italienischen von Karin Rother. Kindler Verlag, Reinbek bei Hamburg 2006, 288 S., 19,90 Euro Oliver Bottini: „Im Sommer der Mörder“. Scherz Verlag, Frankfurt/Main 2006, 464 S., 14,90 Euro