: Der Idealhamster ist elastisch Von Ralf Sotscheck
Es gibt eigenartige Hobbys. Zu den merkwürdigsten gehört das Hamstersammeln. Unser 14jähriger Nachbarsjunge hegt sieben der pausbäckigen Fellbeutel. Am Anfang stand ein Kompromiß: Daniel hatte sich zu seinem achten Geburtstag ein Rottweilerpärchen gewünscht, während die Eltern für einen Goldfisch plädierten. Man einigte sich schließlich auf einen Hamster, weil man mit ihm nicht Gassi gehen muß, er aber im Gegensatz zu einem Fisch den Jakkenärmel hinaufkrabbeln kann.
Es blieb nicht bei dem einen Tier. Während andere Kids ihr Geld in Oasis-Platten steckten, investierte Daniel fortan in seine Hamsterkollektion. Von der Originalbesetzung ist heute keiner mehr dabei: Einer ging verloren, weil Daniel im Garten testen wollte, ob Hamster tatsächlich Röhrenbauten in der Erde anlegen, wie es im Lexikon hieß; ein anderer ist angeblich von unserer Katze verspeist worden; ein dritter erlitt im Laufrad einen Herzinfarkt. Die übrigen starben eines natürlichen Todes. Daniel sorgte jedesmal für Ersatz.
Wenn er es bloß dabei bewenden ließe. Doch er schleppt seine Tiere regelmäßig zum Goldhamsterball, wo der schönste Nager prämiert wird. Diese Hamstershows muß man gesehen haben: lange Tische mit endlosen Reihen kleiner Holzschachteln, in denen – für das ungeübte Auge – völlig identische Fellknäuel liegen. Hamsterfreunde können die Viecher angeblich unterscheiden. Es gibt sogar Punktrichter, die Größe, Farbe, Fellbeschaffenheit, Verhalten und Festigkeit des Körpers bewerten. Früher sei das einfacher gewesen, meint Daniel: An den Jugendbezirksmeisterschaften nahmen fast ausschließlich Kinder teil, bei der Punktwertung ging es großzügig zu, und am Ende hatten alle irgendeinen Preis gewonnen. Bei den Erwachsenen seien die Regeln strenger, und die Sache werde viel ernster genommen. Warum es bei den Kategorien der Wettkampfhamster nach dem Alter der Besitzer geht, erscheint mir rätselhaft. Beim Pferderennen starten die dreijährigen Gäule ja auch gegeneinander, ob der Jockey nun 19 oder 90 ist.
Jedenfalls liegt der Hamster, den Daniel ins Punktrennen schicken will, nun in einer dieser Holzschachteln und döst vor sich hin. Daniel versucht, ihn für ein Stück Gurke zu interessieren, weil er intelligenter aussehe, wenn er nicht schlafe. Hamster können sich mehr als ein Fünftel ihres Körpergewichts an Futter in die Backentaschen schieben, lerne ich. Wenn das auch mit Guinness funktionierte, würde ich die Tierchen echt beneiden.
Da kommt auch schon der Punktrichter. Er piekt Daniels Hamster mit dem Finger in die Seite, zieht das Tier ein wenig in die Länge und trägt irgend etwas in seine Liste ein. Offenbar muß der Idealhamster elastisch sein. Dann greift er dem ahnungslosen Nager unter den Bauch und wendet ihn wie einen Pfannkuchen, um zu sehen, ob die Fußnägel ordentlich manikürt sind. Der Hamster zappelt wie ein Maikäfer. Einen Preis gewinnt er für diese Vorstellung aber nicht. „Scheiße“, murmelt Daniel und steckt das verwirrte Tier in die Manteltasche. Er hätte damals doch auf dem Rottweiler bestehen sollen, meint er: Wenn der Punktrichter dem mit einem Finger in die Seite gepiekt hätte, wäre der Arm abgewesen.
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