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Der Finger zeigt nicht auf die Mitte, sondern auf die gähnende Leere

■ betr.: „Von der leeren zur offenen Mitte“, taz vom 6.1. 96

Von seltener Dümmlichkeit und Widersprüchlichkeit strotzt dieser Riesenartikel nur so. Und man ärgert sich am Ende wieder mal, zehn Minuten für einen wirklich nicht lesenswerten Schmarrn geopfert zu haben. „Die städtebaulichen Leistungen der DDR?“ – nun denkt man an den Wiederaufbau der Linden mit Kronprinzen-, Prinzessinnen-, Niederländischem Palais ... – aber denkste: Besungen wird das „riesige Band“, mit dem sie in den sechziger Jahren die Spreeinsel zum Alexanderplatz erweitert haben (später wird dann beklagt, daß die Spreeinsel als Insel nicht mehr wahrnehmbar ist), und: „Der Fernsehturm ist weit über die Stadtgrenzen hinaus ein Fingerzeig auf die Mitte Berlins“(!) Hoch lebe der Flächenabriß, oder wie? Und der Finger zeigt leider nicht auf die Mitte, sondern auf die gähnende Leere.

Wo Berlin entstanden ist: Rund um Marienkirche, rund um Nikolaikirche, Fischerinsel gähnt heute Leere und Ödnis. Berlin ist nicht mehr aufzufinden, nicht mal der Straßengrundriß. Das ist der Grund, warum wir so stark auf die einzig realistische Möglichkeit setzen, ein Stück historische Stadt wiederzugewinnen: Um die barocke und klassizistisch geprägte Lindenachse wiederherzustellen, braucht es nur Pflege, Reparaturen und Ergänzung. Die ideologisch verstockten Meckerer von heute, die darin Preußenrückkehr sehen, wird man dann dort auf den Plätzen, in den Cafés etc. am wahrscheinlichsten antreffen, so wie sie sich heute am liebsten am Savigny- Platz, am Viktoria-Luise-Platz (beide erst in den achtziger Jahren frisch rekonstruiert) und im historisch rekonstruierten Charlottenburger Kiez aufhalten. Mein Aufruf: Schluß mit der Ideologie!

Und in den Literaturhinweisen fehlt der wichtige Hinweis auf Friedrich Dieckmanns Buch „Wege durch Mitte“. Komisch, nachdem der Autor doch so heftig die Westbestimmung der Ostmitte beklagt! Annette Ahme

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