: Der Besonnene
AUS BERLIN SIMÓN RAMÍREZ VOLTAIRE
Was für ein Name! Walter Prudencio Magne Veliz, auf Deutsch etwa: der große, glückliche und besonnene Herrscher. Doch hinter diesem Namen verbirgt sich kein spanischer Fürst und kein lateinamerikanischer Patrón, sondern ein Indígena aus dem bolivianischen Hochland. Und dieser schüchterne Mittvierziger leitet seit rund zweieinhalb Jahren die Vertretung der Republik Bolivien in Berlin-Schöneberg. Er ist nicht nur Botschafter, er hat auch eine Botschaft: Er soll den Deutschen die Eigenarten des Andenlandes vermitteln und die bolivianische Auffassung von Politik im 21. Jahrhundert erklären.
Zum Botschafter ernannte ihn Evo Morales, der Anfang 2006, nach seiner Wahl zum ersten indigenen Präsidenten Amerikas, eine „demokratisch-kulturelle Revolution“ eingeläutet hat. Da in Bolivien Benachteiligungen aus sozialen und ethnischen Gründen mehr oder weniger das Gleiche sind, stand Morales anfangs vor dem Problem, kaum über Gefolgsleute in den Behörden und Institutionen zu verfügen. Das alte Personal völlig austauschen konnte und wollte er nicht. So begnügte er sich damit, Leute seines Vertrauens, darunter sehr viele Indigene, in Schlüsselpositionen zu bringen. Nach einer Reihe von frühzeitigen Pensionierungen und Versetzungen wurden Quereinsteiger plötzlich Polizeipräsidenten, Oberfinanzdirektoren und Universitätsrektoren – oder eben Botschafter. Was zunächst wie ordinäre Vetternwirtschaft aussieht, kommt in Bolivien, wo höhere Ämter stets den Angehörigen der weißen Oberschicht vorbehalten waren, einer Revolution gleich. Mit anderen Worten: Das Land beginnt erst jetzt, die Kolonialzeit zu überwinden.
Aber inzwischen gibt es auch indigene Seilschaften, die mit am Tisch sitzen. Die lange Zeit diskriminierten Indigenen besäßen eine Philosophie, die sie in die Politik einbringen wollten, erzählt Magne Veliz. Ein Ziel in der Aymara-Kultur sei „vivir bien“: das gute Leben. Kein Luxus, sondern Würde; nicht herrschen, sondern kommunizieren. Der „Schatz“, den die Aymaras der Menschheit schenken wollten, sei das Wissen um ein mögliches Leben im Einklang der Menschen untereinander und mit der Natur. Das klingt kitschig und salbungsvoll, aber Magne Veliz trägt seine Ansichten bescheiden vor.
Die Anden-Indígenas sind in der Vorstellung Magne Veliz’ den Übeln und dem Gewirr des westlichen Kapitalismus moralisch überlegen. So wandelt der Botschafter unbeirrt zwischen Konferenzen und Zweiergesprächen mit Politikern und Wissenschaftlern, trägt den „Spirit der Anden“ vor sich her. Dabei setzt er sich – ganz im Stil von Evo Morales – über so manche Gepflogenheit hinweg. Kooperationspartnern in Deutschland stößt er damit bisweilen vor den Kopf, etwa als Magne Veliz im Juni des vergangenen Jahres auf einer Bolivien-Tagung an der Universität Kassel die Arbeit der internationalen Entwicklungshilfe pauschal als Einmischung des Nordens in Länder des Südens abkanzelte. Doch das ist das Knirschen im Betrieb, das die Politik Morales’ hervorruft. Magne Veliz teilt mit vielen bolivianischen Amtsträgern heute, dass er ein kultureller „Broker“ ist. Er bringt Neues und Ungewohntes für den geölten Betrieb in der Welt der Diplomatie, auch wenn er dabei ein wenig lehrmeisterhaft wirkt. Das ist gar nicht mal so undeutsch.
Die Arbeitskultur im eigenen Büro hat er verändert. So wie die Bolivianer den Präsidenten nur bei seinem Vornamen nennen, nennen alle Botschaftsmitarbeiter ihren Chef nur Walter. Für jeden, der zum ersten Mal mit ihm zu tun habe, sei er eine Überraschung, sagt die Botschaftsmitarbeiterin Diana Suarez. Er sei so ganz untypisch für einen „Embajador“. Einer, der auf die Leute zugehe und nicht das Umgekehrte erwarte.
Walters Eltern gehörten zu den Wohlhabenden in ihrem Dorf, was allerdings nicht viel heißen muss. Denn noch heute bedeutet ein Leben auf dem Land: Wohnen in Lehmhäusern, hauptsächlich Kartoffeln und das andine Quinoa-Korn zum Essen, nur an Festtagen Lamm oder Lama. Immerhin hatten Magne Veliz’ Eltern das erste Auto im Dorf und zogen dann in die Minenstadt Oruro im Hochland, wo Walter Magne 1960 geboren wurde. Als Kind habe er sich oft gefragt, wie er die Pioniertat der Eltern überbieten könne. Er erzählt, wie er damals auf über 4.000 Metern Höhe so lange in die Sonne schaute, bis es wehtat und alles blau wurde. Er wollte erkunden, was dahinterliegt. Als er zehn Jahre alt war, starb sein Vater. Seine Mutter verkaufte das Auto – die Söhne sollten nicht zu Chauffeuren werden. Seinen Horizont der Anden-Welt, eine Welt, die der Diplomat heute noch sehr schätzt, hat er im Laufe seines Lebens stets erweitert. In den Achtzigerjahren gewann er Preise für seine Fotografien. Schon bald begann er zu malen, weil ihm der Ausdruck der Lichtbilder irgendwann begrenzt erschien. Er studierte Kommunikationswesen in Oruro, Anthropologie in La Paz und in den Neunzigerjahren drei Semester an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. Schließlich hängte er in Sucre einen Master in „Innovation und Wettbewerb“ an, ein Studium zur Verbesserung wirtschaftlicher Produktionsketten. Seine Abschlussarbeit schrieb er über die Anpassung einer optischen Sortiermaschine für Reis an den Verarbeitungsprozess des Getreides. In vielen Kooperativen steht heute diese Maschine.
Für Veliz gibt es keine Grenzen zwischen den Menschen, nur „technologische Barrieren, Grenzen des Wissens“. Und die sind, davon ist er überzeugt, überwindbar. Er selbst ist ein lebender Beweis für diese These, zwang sich immer in diese Rolle: ob auf dem Quinoa-Feld in Oruro, in der Münchner Filmschule oder als Botschafter. Wenn seine Amtszeit in Berlin zu Ende sein wird, will er an einer indigenen Universitäten einen Masterstudiengang leiten, der sich dem Quinoa-Anbau widmet.
Doch bis auf Weiteres hat er in Deutschland einen Job zu erledigen, und zwar einen, den er nicht gelernt hat. Das ist im Bolivien des Evo Morales keine Seltenheit: Von Magne Veliz’ unmittelbarem Vorgesetzten, dem früheren indigenen Aktivisten und heutigen Außenminister David Choquehuanca Céspedes, erzählt man sich in Bolivien folgende Geschichte: Als Morales ihm vorgeschlagen habe, Außenminister zu werden, habe dieser geantwortet: „Außenminister? Davon habe ich keine Ahnung.“ Doch Morales habe sich nicht abhalten lassen, sondern nur erwidert: „Das geht uns allen so.“ So wurde Choquehuanca Außenminister und Magne Botschafter. Für seine Ernennung waren die Deutschlandkenntnisse aus der Münchner Zeit entscheidend.
Magnes brasilianischer Kollege in Berlin, Luiz Felipe de Seixas Corrêa, mit dem er sich regelmäßig trifft, ist beeindruckt von der Arbeit des Aymara-Botschafters: „Ich sehe in ihm große Weisheit. Wie er die Komplexität seines Landes repräsentiert, den besonderen historischen Moment.“ In der Diplomatie sei es durchaus üblich, „politische Botschafter“ zu entsenden, auch wenn diese keine formale Laufbahn absolviert haben. In bestimmten Momenten könne es sehr wichtig sein, dass enge Vertraute des Präsidenten diese Aufgabe übernähmen, meint der brasilianische Botschafter. In dieser Hinsicht sei Magne Veliz keine Ausnahme.
Magne steht für die neue Zeit, die in Bolivien angebrochen ist. Den Bruch spürt er am eigenen Leib. Aber nicht alle im Land sehen den Wandel positiv. Die Regionen des reicheren Tieflands streben nach Autonomie, und ein Teil der weißen Oberschicht will nicht akzeptieren, dass sie von Indigenen regiert werden. Sie können es nicht ertragen, wenn die „Indios“ etwas zu sagen haben; wenn, überspitzt gesagt, die Söhne ihrer Haushälterinnen und die Töchter ihrer Chauffeure plötzlich zu ihren Vorgesetzten werden – auch wenn diese, so wie Magne, einen Hochschulabschluss erlangt haben. Jetzt sitzen die Kinder der Haushälterinnen und Chauffeure tatsächlich im Staatsapparat, bestimmen die Politik. Sie glauben, über die höhere Moral zu verfügen. Auch das alte Botschaftspersonal in Berlin konnte sich nur schwer damit arrangieren. Mittlerweile wurde es ausgetauscht.
Jemand, der häufig mit Magne zu tun hat, ist Bernhard Kaster, der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Das Bistum in seinem Wahlkreis Trier unterhält eine langjährige Partnerschaft mit der katholischen Kirche in dem Andenland, denn Religion ist im katholischen Bolivien immer eine gute Grundlage für Austausch. Kaster schätzt die offene Art des Botschafters. Magne Veliz habe einen „klugen diplomatischen Stil“ entwickelt. Freilich gebe es mit dem Vertreter einer sozialistischen Regierung auch „Diskussionsstoff“. Stets dränge Magne Veliz deutsche Politiker darauf, die Realität Boliviens vor Ort kennenzulernen.
Umgekehrt schätzt Veliz das Reisen in Deutschland. Mal spricht „Genosse Walter“ auf Veranstaltungen der Linkspartei, mal trifft er sich im oberbayerischen Laufen mit dem dortigen CSU-Bürgermeister Hans Feil, in dem er einen Verbündeten im Kampf gegen die Gentechnik sieht. Am liebsten wäre es ihm, wenn nicht mehr Politiker nach Lösungen für die Probleme in unterschiedlichen Realitäten suchten, sondern die Menschen untereinander: „Es ist gut, wenn ein Landwirt aus Bayern mit einem Campesino der Anden Erfahrungen des Kartoffelanbaus austauschen könnte“, sagt Magne Veliz. Das habe Evo Morales gemeint, als er ihm aufgetragen habe, an einer „Diplomatie der Völker“ zu arbeiten.
Neben Herkunft und Idealen teilt seine Exzellenz noch etwas mit dem Präsidenten: die Leidenschaft für Fußball. In der Minenstadt, aus der beide stammen, gründete eine britische Eisenbahngesellschaft die erste Fußballmannschaft Boliviens, die Oruro Royal. Evos Mitstreiter in Berlin würde gerne ein Spiel organisieren, wenn der Präsident auf Deutschlandbesuch kommen sollte. Nach einem Gegner für ein Freundschaftsspiel hält Veliz bereits Ausschau.
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