: Demokratische Regeln oder die Last der Geheimnisse
Nach zehn Wochen ist im Lauf der Hearings deutlich geworden, daß nicht nur Reagan einen lockeren Umgang mit der Wahrheit pflegte. Vieles aus der Washingtoner Gerüchteküche hat sich gleichfalls als Legende erwiesen. Besonders die vielen Berichte, die aus Oliver North einen überlebensgroßen Polit–Schandtäter gemacht hatten, der die Welt fast im Alleingang von Marxisten und Terroristen befreien wollte, lesen sich im Nachhinein wie ein billiger Spionageplot. Er hat zugegeben, den Iranern vieles versprochen zu haben, einschließlich der Beihilfe beim Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein. Doch genauso gut hätte er ihnen einen Freiflug nach Disneyland versprochen, wenn er dafür die Geiseln aus dem Libanon freibekommen hätte. Der politische Kern der Affaire ist dagegen viel ernster. Er besteht im Verhalten einer Administration, die sich hoffnungslos in ideologische Vorstellungen verrannt hat. Zum Wohl ihrer Handlungsfähigkeit muß sie diese geheiligten Grundsätze irgendwann über Bord werfen und ist deswegen gezwungen, die verfassungsmäßig gebotenen Regeln zu mißachten. Wer Antiterrorimus auf seine Fahnen schreibt, dann aber hinter dem Rücken des Kongresses und der Öffentlichkeit, ja zum Teil hinter dem Rücken des Kabinetts mit Terroristen zu handeln und verhandeln beginnt, wird in die Geheimhaltung getrieben und gerät dabei unweigerlich in Schwierigkeiten. Wer eine verfehlte Politik in Zentralamerika gegen den Willen des Kongresses im Geheimen durchsetzt, wird den Unmut der Parlamentarier auf sich ziehen. Dies zumindest ist die Sicht der Mitglieder des Untersuchungsausschusses, wie sie nach der Vernehmung Oliver Norths von mehreren Komiteemitgliedern dargelegt wurde. Der Vorsitzende Lee Hamilton formulierte es so: „Die Administration versuchte im Geheimen zu erreichen, woran der Kongreß sie zu hindern versuchte. Die Ad ministration tat geheim, was sie in Beteuerungen gegenüber der ganzen W Genauso deutlich wurden auch die Grenzen gezogen, bis zu denen das Komitee zu gehen bereit ist: „Niemand von uns würde sich prinzipiell gegen Geheimoperationen der Regierung aussprechen“, sagte Hamilton am Mittwoch; und Senator Heflin machte einen Tag später klar: „Als wir begannen, hatten wir nicht die Absicht, den Präsidenten mattzusetzen, wir wollten kein zweites Watergate.“ Bei aller Betonung demokratischer Regeln, die die Reagan–Administration mit Füßen getreten hat, zieht die Staatsraison des Untersuchungsausschusses dort eine Grenze, wo eine Erschütterung der Fundamente anstünde, wo etwa der Herrschaftsanspruch der Vereinigten Staaten über Lateinamerika überprüft werden müßte. Doch die Geheimpolitik soll munter weitergehen: Das Weiße Haus kündigte drei Tage nach dem Höhepunkt der „Olliemania“ an, nun beim Kongreß einen neuen Antrag auf Contra–Gelder - 140 Millionen Dollar für 15 Monate - einreichen zu wollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen